Die richtigen Worte in dunklen Stunden

von Redaktion

„Ich denke mir oft: Wie schade, dass ich diesen Menschen erst nach seinem Tod kennenlerne“, sagt Claudia Einberger. Die Wasserburgerin ist freie Trauer-Rednerin. Warum die 38-Jährige findet, dass auf Beerdigungen auch gelacht werden darf und wie es ist, wenn Todkranke zu Lebzeiten ihre Trauer-Rednerin empfangen.

Wasserburg – „Es war so schön, mit Ihnen zu reden“, sagte die 80-jährige Witwe, nachdem sie Trauer-Rednerin Claudia Einberger eine Stunde lang aus dem Leben ihres Mannes erzählt hatte. Für viele Angehörige ist dieses Gespräch vor der Beerdigung ein befreiender Akt, weiß Einberger. Sie entwickelt aus den Berichten eine Trauer-Rede. Und freut sich, wenn die Gäste am Grab zustimmend mit dem Kopf nicken. „Das heißt, dass ich den Charakter des oder der Verstorbenen gut wiedergegeben habe.“

„Jeder hat sein Päckchen zu tragen“

Die Themen, die dem Menschen wichtig waren, sollen zur Sprache kommen auf seinem letzten Weg, findet Einberger. Sie möchte, dass die Werte, für die die Verstorbenen gestanden haben, deutlich werden. „Ich bete nicht nur die Biografie herunter“, sagt sie. Der Charakter und die Wesenszüge seien ebenso wichtig.

Oft seien die Angehörigen in ihrer Trauer jedoch stark auf die letzten Wochen und Tage fokussiert. Und diese seien nicht selten von Krankheit und Pflege geprägt. Deshalb bemühe sie sich, die Angehörigen gedanklich auch in jene Zeiten zurückzuführen, in denen die Verstorbenen noch aktiv waren. Auch Anekdoten aus dem Leben könnten in einer Trauer-Rede eine Rolle spielen, findet sie. Oder Charakterzüge, sogar dann, wenn diese zu Lebzeiten belächelt worden seien. Überhaupt: Bei einer Trauerfeier müsse es nicht zwangsläufig traurig zugehen. Auch ein Schmunzeln oder Lächeln seien erlaubt, wenn es passe, findet sie. Einberger spart nach eigenen Angaben auch die Schicksalsschläge und Krisen im Leben eines Verstorbenen nicht aus. „Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Kein Leben läuft wie am Schnürchen“, stellt sie immer wieder fest.

Einmal hat sie es sogar erlebt, dass die Person, um die es in ihrer Trauer-Rede ging, noch lebte. Das geschah bereits beim zweiten Auftrag. Die sterbenskranke Frau bat Einberger zu sich nach Hause. Und besprach mit ihr am Sterbebett die Themen, die sie sich für ihre Würdigung wünschte. „Es war ein emotional sehr bewegender Einsatz. Da musste ich mehrmals sehr schlucken“, erinnert sich Einberger. Auch selber kommen ihr in Momenten wie diesen manchmal die Tränen, sagt sie. „Ich habe zwar eine professionelle Ausbildung als freie Rednerin bekommen, doch ich bin keine Maschine.“

„Ich bin jedes
Mal aufgeregt“

Manchmal packe auch sie die Trauer: um eine Person, die sie zeitlebens gar nicht gekannt habe, von der sie jedoch so viel Inspirierendes und Interessantes erfahre, „dass ich mir wünsche, ich hätte sie kennengelernt.“ Einmal kannte sie den Verstorbenen in der Tat, weil er ein Freund der Familie war. Auch das ist eine Herausforderung, berichtet sie. „Ich bin jedes Mal aufgeregt“, räumt sie ein. Denn schon im Vorfeld der Trauerfeier besuche sie die Angehörigen zur Absprache und Festlegung der Inhalte daheim, meist im Haus der Verstorbenen. Ein solcher Besuch in den eigenen vier Wänden helfe, den Menschen kennenzulernen: die Auswahl der Möblierung, Fotos an den Wänden, kleine Details wie ein Bücherregal sagen nach ihren Erfahrungen oft schon viel aus über den Charakter. Bei diesen Vorgesprächen sitzen ihr Angehörige gegenüber, die sich in der Regel noch im Schockzustand befinden: manchmal fassungslos, oft tief traurig. Einberger nimmt sich Zeit: „Einmal dauerte es drei Stunden, bis wir alles besprochen hatten.“

Verstorbenen so erfassen, wie er war

Sie ermuntert die Angehörigen, ihren Tränen freien Lauf zu lassen. „Oft entschuldigen sie sich für ihr Weinen. Dabei wäre es doch wirklich traurig, wenn sie nicht weinen würden.“ Manchmal reicht Einberger eine Hand zum Trost, manchmal muss sie zum Reden ermuntern, oft sprudelt es jedoch auch aus Angehörigen heraus. Aus dem, was sie über den Verstorbenen erzählen, entwickelt die Trauer-Rednerin einen roten Faden für ihren Beitrag. Ganz frei redet sie nicht, sie hält sich an ihren geschriebenen Text. „Ich bin Beamtin, ich brauche eine Struktur“, erklärt sie diese Vorgehensweise mit einer großen Portion Selbstironie. Einberger ist im Hauptberuf Leiterin des Wasserburger Ordnungsamts. Vorher war sie Standesbeamtin.

Authentisch sollen ihre Reden sein, findet sie, den Menschen, der auf seinem letzten Weg begleitet wird, so erfassen, wie er wirklich war. Authentisch ist auch sie. „Ich bin mit Herz dabei. Und rede Dialekt. Hochdeutsch sprechen am Grab: Dann bin ich raus.“

Sie selber nimmt für sich ebenfalls viel mit aus ihrer Tätigkeit als Trauer-Rednerin. Die Dankbarkeit der Angehörigen erfülle sie mit großer Freude. Durch die Beschäftigung mit Tod und Trauer habe sie einen besonderen Blickwinkel auf das eigene Leben entwickelt.

„Es ist gut, Menschen an der Seite zu haben“

„Ich bin dankbar, dass ich gesund bin. Und ich weiß aus den Erfahrungen als Trauer-Rednerin heraus, wie wichtig funktionierende Familien sind, in denen die Mitglieder miteinander in Kontakt stehen. Was ich ebenfalls sehr zu schätzen gelernt habe: meine vielen tollen Freunde. Es ist gut, Menschen an der Seite zu haben, die immer für einen da sind.“

Einberger ist nicht nur Trauer-Rednerin. Sie spricht auch auf Hochzeiten oder bei Baby-Willkommensfesten. „Ich bin Lebensrednerin“, bringt sie es auf den Punkt. Egal ob Geburt, Eheschließung oder Tod, sie begleitet alle Lebensphasen. „Es kommt auf die richtigen Worte an. Mit ihnen kann man viel anrichten, aber auch viel Trost spenden oder viel Freude bereiten.“ Auch bei einer Beerdigung.

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