Klinik-Familie leidet extrem unter Mord

von Redaktion

Der Mord an Oberarzt Rainer Gerth ist eine Tat, die für immer nachwirkt, besonders tief in diesen Tagen kurz vor Prozessbeginn am Landgericht Traunstein. Wie erging es der Klinik-Familie in Wasserburg seitdem? Einblicke in die Gefühlslage von Menschen, die Unfassbares bewältigen müssen.

Wasserburg – Das kbo-Inn-Salzach-Klinikum hat ein Horror-Jahr hinter sich: Am Abend des 8. Aprils wurde Oberarzt Rainer Gerth auf dem Krankenhausgelände ermordet. Ein unfassbares Verbrechen. Schockierend auch die Tatsache, dass sein Vorgesetzter, Chefarzt Dr. Stefan Gerl, der Gerth noch im April in einem berührenden Nachruf als geschätzten Kollegen und besonderen Menschen gewürdigt hatte, wenige Monate später an einer schweren Erkrankung starb. Die Leiterin der Krankenpflegeschule, Dr. Sabine Balzer, erlag kurz danach ebenfalls einem unheilbaren Leiden.

Horrorjahr für das Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg

Zwei natürliche Todesfälle, viel zu früh eingetreten, und einer, der durch fremde Hand ausgelöst wurde: durch eine tödliche Messerattacke eines Mannes, der Oberarzt Gerth auf dem Nachhauseweg aufgelauert und ihn erstochen haben soll.

Am Montag, 4. November, beginnt nun vor dem Landgericht Traunstein der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter, ein 40-jähriger Mann aus Norddeutschland. Landgericht-Pressesprecherin Claudia Sattelberger teilt auf Anfrage mit, dass vier Verhandlungstage angesetzt worden sind. Mit nach wie vor von Trauer geprägter Spannung warten Angehörige, Freunde und Kollegen auf die Ergebnisse. Der Prozess wühlt alles wieder auf: Entsetzen, Fassungslosigkeit, Wut, die Frage nach dem Warum. Auch bei der Klinik-Familie in Gabersee, eine eingeschworene Gemeinschaft, die eine schreckliche Tat bewältigen muss.

Wie hat sie die Tatsache verkraftet, dass ein beliebter Oberarzt nach Feierabend quasi am Arbeitsplatz ermordet wurde? Ärztlicher Direktor Professor Dr. Peter Zwanzger spricht von einem „extrem schweren, sehr ungewöhnlichen Einzel-Ereignis“.

„So etwas haben wir noch nie erlebt, es ist einmalig in der Geschichte unseres Hauses und auch in meiner Laufbahn“, sagt er mit nach wie vor belegter Stimme. Trotzdem ist sein Eindruck, dass die Kolleginnen und Kollegen die Situation den Umständen entsprechend „gut verkraftet“ haben, sogar in der Forensik, wo Gerth Oberarzt war.

Das liege auch daran, dass die meisten Mitarbeitenden im Inn-Salzach-Klinikum sehr geübt im Umgang mit schwierigen Situationen seien. Viele würden über langjährige berufliche Erfahrungen verfügen, seien schon aufgrund ihrer Tätigkeit in einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie emotional sehr gefestigt.

Außerdem müsse der Klinikalltag weitergehen, das erfordere die Verantwortung gegenüber den 900 Patienten. Das Fachkrankenhaus habe versucht, das Geschehene aufzuarbeiten, der Trauer und den damit verbundenen Gefühlen der Ratlosigkeit und Fassungslosigkeit Raum zu geben: über ein Kondolenzbuch, Gedenkveranstaltungen, eine gemeinsame Trauerfeier und viele Gespräche. „Ich glaube, keiner hat Schaden genommen. Aber ja, Narben sind da und werden bleiben“, sagt Zwanzger.Das bestätigt auch der Betriebsratsvorsitzende Josef Schwarzenböck.

„Natürlich ist der Vorfall nach gerade einmal einem halben Jahr in vielen Köpfen noch präsent. Folgerichtig sind alle Führungskräfte weiterhin angehalten, aufmerksam auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu achten und bei Bedarf das Gespräch zu suchen oder weiterführende Hilfsangebote zu vermitteln.

Als Betriebsrat unterstützen wir dieses Vorgehen. Der Arbeitgeber bietet weiterhin verschiedene Formen psychologischer Unterstützung an, wobei auch die Klinikseelsorger eine Rolle spielen.“

In diesem Zusammenhang, ebenso wie in Fragen der möglichen Optimierung von Sicherheitsmaßnahmen, steht der Betriebsrat in engem Austausch mit der Geschäftsleitung. Insgesamt hat das vergangene Jahr gezeigt, wie wichtig der starke Zusammenhalt in Gabersee ist.“

Dr Karsten Jens Adamski betont, dass auch das Kommunalunternehmen kbo, der Bezirk und der Bezirkstagspräsident die Wasserburger Klinik intensiv unterstützt hätten bei der Aufarbeitung des Geschehenen. Das Inn-Salzach-Klinikum habe sich in dieser extremen Situation in der Gemeinschaft der Kliniken gut aufgefangen gefühlt. Die Versorgung der Patienten habe nicht gelitten, medizinische, therapeutische und pflegerische Betreuung seien nicht unterbrochen worden, nicht einmal in der hauptbetroffenen Abteilung, der Forensik.

„Unsere Leute sind geschult im Umgang mit schwierigen Rahmenbedingungen. Sie sehen sich auch in Extremsituationen in der Verantwortung gegenüber den Patienten“, ergänzt Adamski. Kündigungen, die mit dem Mord begründet worden seien, habe es bisher wohl nicht gegeben.

„Wir blicken nach vorne“, sagen Zwanzger und Adamski. Die Hoffnung auf Neubesetzung der Chefarzt-Stelle in der Forensik ab Januar 2025 sorge für neue Zuversicht.

Weitere Sicherheitskonzepte für das Klinikareal

Adamski betont außerdem, dass das Inn-Salzach-Klinikum dabei sei, weitere Maßnahmen für noch mehr Sicherheit zu entwickeln und umzusetzen. Unter anderem gebe es neue Konzepte für die Beleuchtung des weitläufigen Geländes, die Idee eines abendlichen Sicherheitsdienstes, der unter anderem auch Verlegungen oder Einweisungen in der Nacht begleiten könne und so das Gefühl der Sicherheit verstärken solle.

Das offene, parkähnliche Gelände bleibe im Grundsatz jedoch erhalten. Das weitläufige 40 Hektar umfassende Klinikareal in Gabersee lasse sich nicht abschirmen. Eine Abschottung mit Zäunen oder Mauern gehöre trotz des Geschehenen nicht zum Selbstverständnis der Klinik, die für Offenheit und Transparenz stehe, wichtig im Bemühen, die Barrieren gegenüber psychischen Erkrankungen abzubauen.

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