„Du hast Papa umgebracht“

von Redaktion

War Dominik S. wirklich schuldunfähig? Diese Frage kam am letzten Prozesstag zum Mord am Wasserburger Oberarzt Rainer Gerth auf. Nach dem Urteil des Landgerichts Traunstein bleibt eine Familie zurück, der die Tat den Boden unter den Füßen weggerissen hat.

Wasserburg/Traunstein – Es ist der 8. April 2024: Dominik S. wartet auf dem Gelände des kbo-Inn-Salzach-Klinikums auf Oberarzt Rainer Gerth. Bereits seit mehreren Wochen hat er dessen Gewohnheiten ausgekundschaftet. Möglicherweise besuchte er sogar einmal die Wohnung von Gerths Lebensgefährtin. S. hat einen Plan: Er will den Mediziner töten. Seiner Überzeugung nach werden im Inn-Salzach-Klinikum (ISK) Menschen vergiftet und Experimente mit Kindern durchgeführt. Er selbst spüre seit Jahren einen Ganzkörperschmerz, sei überzeugt, bald sterben zu müssen. Denn während seines Aufenthalts in den Jahren 2010 bis 2013 am ISK sei auch er vergiftet worden, meint S. Rainer Gerth „müsse“ deshalb sterben, so seine Überzeugung im Wahn.

Die Tötung ist das Finale einer langen Planungsphase

Gegen 18 Uhr schlägt S. am 8. April schließlich zu. Auf einem Parkplatz mitten auf dem Gelände des psychiatrischen Fachkrankenhauses im Wasserburger Stadtteil Gabersee überfällt der 41-Jährige den Mediziner. Mit einem Küchenmesser, zwei Wochen zuvor in Traunreut gekauft, sticht er auf Gerth ein, erwischt ihn am linken Arm und an der Brust. Das Messer durchbricht eine Rippe und dringt ins Herz ein. Der schwer verletzte Gerth schleppt sich noch 61 Meter zurück in Richtung Büro, bevor er zusammenbricht. Dominik S. flieht in Richtung Kirche, setzt einen Notruf ab. Beamte der Wasserburger Polizei können ihn kurz darauf festnehmen.

Für Gerth allerdings kommt, trotz der sofort begonnenen Rettungsmaßnahmen, jede Hilfe zu spät. Der beliebte Oberarzt, Vater, Bruder, Lebensgefährte, verstirbt noch am Tatort.

Gericht sieht keine Zweifel am Ablauf
des Tattages

Das ist der Tatsachenbericht der Vorkommnisse des 8. April 2024. Nach drei intensiven Verhandlungstagen gibt es am 19. November vor der fünften Strafkammer des Landgerichts Traunstein keine Zweifel mehr über die Abläufe am Tattag. Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung sind in ihren Plädoyers überzeugt: Dominik S. hat Rainer Gerth getötet, heimtückisch hat er den arglosen Oberarzt überfallen und auf ihn eingestochen. Es ist ohne Zweifel Mord. Und doch gibt es auch an diesem vierten Prozesstag noch eine zentrale Frage zu klären: In welchem Zustand hat S. es getan? War er schuldfähig oder nicht?

Eine Frage, die doch etwas überraschend aufkommt im Landgericht, war die Staatsanwaltschaft Traunstein doch von Anfang an von Schuldunfähigkeit ausgegangen. Es gab eine Antragsschrift zur Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik nach Paragraf 63 des Strafgesetzbuchs und keine Anklageschrift. Doch vor allem die Vertreter der Nebenklage, insbesondere Jörg Zürner, Anwalt der Schwester des Verstorbenen, haken am letzten Prozesstag noch einmal genau nach.

„Die zentrale Frage ist, ob der Beschuldigte zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder zu einer Unterbringung zu verurteilen ist“, erklärt Zürner und erinnert daran, dass „allein die Diagnose der paranoiden Schizophrenie, die zweifelsohne vorliegt, nicht zur Schuldunfähigkeit führt.“ Vielmehr müsste geprüft werden, ob tatsächlich allein die Erkrankung von Dominik S. zu der Tat geleitet habe und ob seine Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit tatsächlich so eingeschränkt gewesen sei, dass er in einem Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt habe. „Keiner der Zeugen hat beschrieben, dass die Schizophrenie zu diesem Zeitpunkt floride gewesen ist“, meint Zürner. Außerdem habe S. die Tat von langer Hand geplant, Erkundungen betrieben, zwei Wochen zuvor ein Messer gekauft. Er habe Ausreden benutzt, damit sich die Lebensgefährtin von S. keine Sorgen machen müsse, habe keinerlei Andeutung zu der Tat gemacht. Das alles spreche nicht dafür, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit derart eingeschränkt gewesen sei, dass von Schuldunfähigkeit auszugehen sei.

Der lange Planungszeitraum beschäftigt in der Beurteilung der Schuldfähigkeit auch Staatsanwalt Wolfgang Fiedler und Verteidiger Florian Wurtinger. Beide berufen sich jedoch auf das Gutachten der sachverständigen Psychiaterin Dr. Susanne Lausch, die eine Schuldunfähigkeit gegeben sah. „Ja, es gab ein planvolles Handeln“, meint Wurtinger, „allerdings haben wir auch viele Zeugen, die von einem Wahn sprechen.“

Dominik S. bittet
um Unterbringung
in Psychiatrie

Es gebe Briefe, teils selbst geschrieben von seinem Mandanten, die die zunehmende Psychose von Dominik S. belegen würden. Auch Staatsanwalt Fiedler bezieht sich auf den Wahn, aus dem sich ein Feindbild gegenüber der Psychiatrie entwickelt und sich immer mehr auf Rainer Gerth bezogen habe.

Dominik S. selbst bittet in seinem letzten Wort vor der Urteilsverkündung ebenfalls um eine Unterbringung nach Paragraf 63. „Sie haben gesehen, dass ich Hilfe brauche“, meint er. S. spricht von einem Gift, das gegen seinen Kopf drücke und einer Behandlung, die nötig sei. „Ich wäre mit einer Unterbringung nach 63 einverstanden“, meint S. und entschuldigt sich noch bei allen, die er mit seinem Handeln verletzt habe, auch bei den Angehörigen von Gerth.

Rainer Gerths Tochter richtet emotionale Worte an den Täter

Für die Familie des Opfers ist das alles kein Trost. „Mit deiner Tat hast du nicht nur eine Institution, sondern auch einen Menschen getroffen“, hat Rainer Gerths Tochter als Nebenklägerin noch kurz zuvor gegenüber Dominik S. erklärt. „Du hast nicht nur Rainer Gerth, den Psychiater, getötet, sondern auch meinen Vater. Du hast unseren Papa umgebracht und uns dadurch den Boden unter den Füßen weggerissen.“

Vorsitzender Richter Volker Ziegler folgt schließlich dem Antrag der Staatsanwaltschaft und ordnet die Unterbringung von Dominik S. in einer psychiatrischen Klinik an.

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