Traunstein/Ampfing/Wien – Nach viertägiger Verhandlung gegen drei Syrer aus Wien, die den Schleuser (25) mit den sieben am 13. Oktober 2023 bei einem Horrorunfall getöteten Flüchtlingen auf der A94 bei Ampfing als Scouts in einem Spähfahrzeug begleiteten, stellten Oberstaatsanwalt Dr. Martin Freudling und die vier Verteidiger gestern ihre Schlussanträge.
Die Jugendkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzender Richterin Heike Will verkündet das Urteil am Mittwoch, 18. Dezember, um 9 Uhr.
Scouts warnten
vor Kontrollen
Der Oberstaatsanwalt blieb gestern für die drei mutmaßlichen Scouts bei dem Vorwurf „Einschleusen mit Todesfolge“ aus der Anklageschrift. Bei allen nahm er einen gemeinsamen Tatplan für die illegale Schleusung der 22 Flüchtlinge an, auch, dass alle von der Überladung und den viel zu wenigen Sicherheitsgurten in dem neunsitzigen Kleinbus Mercedes Vito wussten. Den eigentlichen Schleuser (25) hatte das Schwurgericht Traunstein Anfang November zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt (wir berichteten).
Die drei Angeklagten, nach der Flucht aus Syrien seit Jahren in Wien lebend, sollen damals von ihrem BMW 520d aus den 25-jährigen Hauptschleuser vor Polizeikontrollen gewarnt haben. In jener Nacht sollen sie nach Sichtung von Polizei am Grenzübergang Simbach den Kleinbus zum Grenzübergang Burghausen umgeleitet haben. Der 25-Jährige setzte danach seine Fahrt über die Bundesstraße B20 auf die Autobahn A94 in Richtung München fort. In der Ausfahrt Waldkraiburg/Ampfing verursachte er ob der zu hohen Fahrgeschwindigkeit und eines Fahrfehlers durch starkes Bremsen in der Kurve den tragischen Unfall mit sieben Toten, darunter ein sechsjähriges Kind und dessen Vater, und 15 teils schwerst verletzten Flüchtlingen.
Die jetzigen Angeklagten hatten vorgeblich nichts mitbekommen von dem Unfall. Sie wollten vielmehr schon wegen eines zufällig mit Blaulicht vorbeifahrenden Polizeiautos, das mit ihnen aber nichts zu tun hatte, auf der Bundesstraße B20 umgekehrt und zurück nach Österreich gefahren sein. Zwei der Männer hatten sich in der Hauptverhandlung geständig gezeigt – gleich bei Prozessbeginn der Lenker des Spähfahrzeugs und gestern auch der 18-jährige Mitfahrer. Der 24-jährige Angeklagte hatte geschwiegen.
„Bis Burghausen hat alles funktioniert“
Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe schlug bei dem jüngsten Angeklagten, bei der Tat erst 17 Jahre alt, das Anwenden von Jugendrecht vor und bejahte „schädliche Neigungen“. Oberstaatsanwalt Dr. Freudling hob die „entsetzlichen Folgen“ des Unfalls, bei dem eine Frau ihr Kind und ihren Ehemann verlor, heraus. Die Scouts hätten tödliche Verletzungen der Flüchtlinge in Kauf genommen – weil sie die Umstände der Fahrt mit den viel zu vielen Menschen im Kleinbus kannten.
Für den Fahrer (23) forderte Dr. Freudling 14 Jahre Gefängnis, für den 24-Jährigen elf Jahre Haft und für den 18-Jährigen eine Jugendstrafe von acht Jahren. Die Auslieferungshaft in Österreich solle bei allen 1:1 angerechnet werden.
Die Anträge der Verteidiger lagen in ganz anderen Bereichen. Anita Süßenguth aus Neuötting beantragte für den 23-Jährigen drei Jahre Freiheitsstrafe – einzig wegen gewerbsmäßigen Einschleusens. Ihr Mandant habe beim Anblick des – völlig unbeteiligten – Polizeiwagens mit Blaulicht noch auf der B20 zu dem 25-jährigen Hauptschleuser mit dem Kleinbus am Handy gesagt: „Jetzt werden wir erwischt. Halt an.“
Auf „Freispruch“ des 24-Jährigen plädierte Verteidiger Michael Vogel aus Traunstein. Sein Hauptargument war: Solche Unfälle mit nicht angegurteten Menschen könnten passieren, seien aber nicht vorhersehbar. „Von Wien bis Burghausen hat alles wunderbar funktioniert“, meinte der Anwalt.
Für einen Lohn von 250 Euro mitgewirkt
Einen durch die Untersuchungshaft abgegoltenen Dauerarrest beziehungsweise eine Jugendstrafe mit Bewährung hielten Raphael Botor aus Rosenheim und Jens Diedrich aus Traunstein bei dem jüngsten Angeklagten für ausreichend. Der 18-Jährige habe die Fahrt nicht mitorganisiert. Er sei lediglich gefragt worden, ob er an der Schleusung einer türkischen Familie gegen einen Schleuserlohn von 250 Euro mitwirken wolle. Der Scoutwagen und das Schleuserfahrzeug seien zwar in Wien zusammengetroffen. Jedoch sei niemand aus dem Bus ausgestiegen. Deshalb habe der 18-Jährige die vielen Flüchtlinge gar nicht sehen können.
Die Anwälte verneinten zwischen der von ihnen angenommenen „einfachen“ Schleusung und dem Unfall mit den Todesopfern eine „Kausalkette“, also einen ursächlichen Zusammenhang.
Das Gericht gelangte gestern zu „größerem Beratungsbedarf“, wie Vorsitzende Heike Will gestern angesichts der sehr weit auseinander klaffenden Plädoyers feststellte.