Wasserburg – Noch haben die Handwerker das Sagen: Sie schleppen Möbel und Kisten, installieren Schränke, bohren, hämmern, schrauben. In der Verwaltung laufen bereits die Bildschirme. Auf allen vier Stockwerken des neuen Heims für unbegleitete Minderjährige in Wasserburg wird derzeit gearbeitet. Denn im Januar sollen die ersten Jugendlichen einziehen. Eine Gruppe für zwölf junge Flüchtlinge unter 18 macht den Anfang.
Einrichtung der
Jugendhilfe
Im großen Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss bildet ein riesiger, quadratischer Tisch mit umlaufenden Bänken den Mittelpunkt. Hier werden bald junge Menschen zum Frühstücken, Mittagessen oder zu Gesprächen Platz nehmen. Einrichtungsleiter Maximilian Niederbuchner (30) feilt an den letzten Details für die Dienstpläne, denn die Jugendlichen werden rund um die Uhr betreut – in drei Schichten, auch nachts. Sie sind noch nicht volljährig, deshalb ist ihre Unterbringung im Wasserburger Wohnheim „eine Inobhutnahme“, so das Beamtendeutsch. Zuständig dafür ist das Kreisjugendamt, das laut Leiterin Sabine Stelzmann (54) mit der Einrichtung neues Terrain betritt: Zum ersten Mal übernimmt die Behörde selbst die Trägerschaft für ein Heim für minderjährige Geflüchtete. Bisher waren es vor allem Wohlfahrtsverbände wie die Diakonie oder die Caritas.
Das Wohnheim in Wasserburg ist eine Erstaufnahmeeinrichtung. Die ersten Jugendlichen, die im Laufe des Januars erwartet werden, kommen aus der Turnhalle in Raubling. Dort leben Geflüchtete unter einem Dach: Familien, Paare, Erwachsene, die allein auf der Flucht sind, Kinder, aber auch Jugendliche ohne Begleitung aus der Familie. Kein optimales Umfeld für Teenager, findet Stelzmann. Deshalb nutzte das Jugendamt des Landkreises die Chance, das ehemalige Schülerheim der Berufsschule Wasserburg, anzumieten und hier eine Unterkunft nur für junge Flüchtlinge einzurichten.
Familien auf der Flucht
auseinandergerissen
Umbauten waren laut Kreisjugendamt nicht notwendig, denn das Gebäude wurde schon vorher zu Wohnzwecken genutzt. Die Räume seien lediglich neu strukturiert und den Anforderungen einer Jugendhilfeeinrichtung angepasst worden. Denn die jungen Flüchtlinge, die hier in der Regel für bis zu zwölf Wochen, manchmal auch länger, unterkommen, haben Biografien, die eine intensive Betreuung notwendig machen. Sie kommen aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Eritrea, Gambia, der Türkei und weiteren Krisen- und Kriegsgebieten. Sie waren bei der Ankunft allein, was nach Erfahrungen von Stelzmann jedoch nicht immer heißt, dass sie Waisen sind. Viele ständen in Kontakt zu ihren Familien, die noch im Herkunftsland leben würden oder in ein anderes Land geflüchtet seien. Unterwegs wurden viele Familien aus unterschiedlichen Gründen getrennt.
Angekommen oder zugewiesen in den Landkreis Rosenheim, benötigen die Teenager vor allem eins, weiß die Leiterin des Kreisjugendamts: „Sicherheit“. Also zur Ruhe zu kommen: ein Bett zum Schlafen haben, was zum Anziehen und zu essen. In der Wasserburger Unterkunft sollen sie diesen Ort der Stabilität finden. Und in bis zu zwölf Wochen auf das weitere Leben vorbereitet werden. Es gehe darum, zu klären, welchen Bildungsstand die Teenager hätten, Sprachkurse zu organisieren, sie mit den Gegebenheiten in Deutschland vertraut zu machen, Anschlussmaßnahmen zu organisieren. Manche Jugendliche wechseln in stationäre Einrichtungen oder in ambulante betreute Wohngruppen, manchmal gelinge auch die Zusammenführung der versprengten Familie.
Bildungsstatus sehr
unterschiedlich
Die Verständigung: mit Gesten, Piktogrammen und über Sprach-Apps, bei größeren Abklärungen kommen auch Dolmetscher ins Haus. Integrationsklassen an den Berufsschulen kümmern sich in der Regel um die Bildung, berichtet Stelzmann. Der Status ist unterschiedlich, sagt sie: von gut ausgebildeten jungen Leuten, die Englisch sprechen, bis zu Jugendlichen, die weder lesen noch schreiben können und erst alphabetisiert werden müssen.
Auch die seelische Verfassung sei unterschiedlich: Es gebe junge Geflüchtete, die nach vorne schauen und das neue Leben mit Freude annähmen, aber auch Jugendliche, die unter Traumata leiden würden. Wenn dies der Fall ist, greife man auf einen externen psychologischen Fachdienst zurück.
Der Alltag in der Einrichtung ist laut Leiter Niederbuchner durchorganisiert, wie es sich für junge Menschen unter 18 gehört: aufwecken, frühstücken, Schulbesuch oder Sprachunterricht, Mittagessen, zweite Lehreinheit am Nachmittag, Freizeit, Abendessen, 22 Uhr Nachtruhe. Auch in dieser Zeit ist immer ein Bereitschaftsdienst im Haus. Die Jugendlichen werden in Zwei-Bett-Zimmern mit Dusche untergebracht. Auf jedem Stockwerk gibt es einen Gemeinschaftsraum.
Einmal am Tag wird per Catering ein warmes Essen geliefert. Frühstück und Abendessen werden selber hergerichtet. Dabei helfen die Jugendlichen, die auch viele alltägliche Erledigungen lernen: ihre Wäsche zu waschen beispielsweise. Je nach Alter gibt es laut Stelzmann Taschengeld: unter 50 Euro etwa im Monat für 16-Jährige.
Um die Teenager kümmern sich außerdem hauptberufliche Vormünder, die vom Amt bestellt werden. Das sind laut Stelzmann in der Regel Fachleute wie Sozialpädagogen. Sie sind Ansprechpartner, vor allem auch, wenn es um Fragen wie Aufenthalts- und Bleiberechte sowie Asylstatus geht, erklärt sie.
Neuland für das
Landratsamt
Die Leiterin des Jugendamts spricht von einer „spannenden neuen Aufgabe“ für die Behörde als Betreiberin einer solchen Einrichtung. „Wir haben die Notwendigkeit gesehen, also beschlossen: Wir machen es selber“, erklärt sie. 151 unbegleitete Flüchtlinge unter 18 Jahren lebten im Dezember im Landkreis Rosenheim, Tendenz steigend seit 2022. 2015 war der Höchststand: Damals waren 1421 im Landkreis registriert, so die Pressestelle des Landratsamts.
Niederbuchner hat nach eigenen Angaben „sehr gute Erfahrungen“ mit jungen Migranten gemacht. Als Berufsschüler seien sie in der Regel sehr engagiert. Stelzmanns Erfahrungen mit jungen Flüchtlingen ist ebenfalls gut: In der Turnhalle in Raubling habe es wenig Konflikte gegeben.
Doch es gibt laut Stelzmann ein großes Problem: den Personalmangel. Das Landratsamt sucht händeringend Fachkräfte mit pädagogischer oder sozialer Ausrichtung, auch Hauswirtschaftlerinnen und Verwaltungskräfte. Je zwölf Jugendliche seien etwa sechs Vollzeitstellen notwendig. Um weitere Gruppen zu eröffnen, benötigt das Jugendamt dringend weiteres Personal.