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Wege aus der Altersdepression

von Redaktion

Interview Wasserburger Ärzte zum Suizid-Versuch von Ex-Trigema-Chef Grupp

Wasserburg – Trigema-Gründer Wolfgang Grupp hat in einem Brief öffentlich gemacht, dass er einen Suizidversuch unternommen hat. „Ich bin im 84. Lebensjahr und leide an sogenannten Altersdepressionen. Da macht man sich auch Gedanken darüber, ob man überhaupt noch gebraucht wird. Ich habe deswegen auch versucht, mein Leben zu beenden“, schreibt er. Und bittet alle, die an Depressionen leiden: „Suchen Sie sich professionelle Hilfe und begeben Sie sich in Behandlung.“ Ein Appell, der aufhorchen lässt. Professor Dr. Peter Zwanzger, Ärztlicher Direktor des kboInn-Salzach-Klinikums (ISK), und Professorin Dr. Janine Diehl-Schmid, Leiterin des Zentrums für Altersmedizin am ISK, werben im OVBGespräch für einen offeneren Umgang mit der psychischen Erkrankung.

Wolfgang Grupp hat seine Altersdepression öffentlich gemacht. Hilft das, dieser Erkrankung ihr Stigma zu nehmen?

Zwanzger: Das Stigma einer psychischen Erkrankung ist leider nach wie vor  vorhanden. Aus diesem Grunde ist das Öffentlichmachen einer psychischen Erkrankung, zum Beispiel einer Depression, durch eine bekannte Persönlichkeit von ganz großer Bedeutung. Hier sehen die Menschen: Da ist jemand, der stand bisher voll im Leben, war leistungsfähig, war eine Persönlichkeit. Wenn sich so jemand für seine Erkrankung nicht schämt, muss ich mich auch nicht schämen.

Welche Menschen sind besonders von Altersdepression betroffen? Sind Macher wie Grupp besonders anfällig, weil sie im Ruhestand in ein großes Loch fallen können?

Diehl-Schmidt: Das kann man so nicht sagen. Viel mehr ist es so, dass eine Depression jeden Menschen treffen kann, egal ob Sekretärin, Schreiner, Manager oder Arzt. Richtig ist allerdings auch, dass die Transition in eine neue Lebensphase eine Herausforderung darstellt. Insbesondere der Übergang vom aktiven Berufsleben in den Ruhestand kann subjektiv zu einem Bedeutungsverlust führen. Gedanken wie „Nun bin ich nicht mehr wichtig“ oder „Ich werde nicht mehr gebraucht“ sind in dieser Lebensphase nicht selten. So kann die Berentung herausfordernd sein, aber auch vielfältige andere Veränderungen, die mit dem Älterwerden einhergehen: Verlusterfahrungen, der Tod nahestehender Personen – besonders belastend der Tod eigener Kinder, Angst vor Krankheiten, Demenz und Pflegebedürftigkeit. Körperliche Erkrankungen, die das Wohlbefinden, die Kraft oder die Mobilität einschränken, erhöhen das Risiko, an einer Depression zu erkranken wie auch Einsamkeit, die im Alter leider häufig ist.

Gibt es Zahlen, wie viele Menschen an Altersdepression erkranken?

Zwanzger: Die Zahlen für die Lebenszeitprävalenz, also das Risiko, einmal im Leben an einer depressiven Episode zu erkranken, liegt bei fünf bis acht Prozent je nach Schweregrad. Man weiß aber, dass die Zahlen bei Patienten über 65 Jahren höher sind. Zudem dürfte die Dunkelziffer hoch sein, denn von vielen Betroffenen und auch Angehörigen werden depressive Symptome gerade zum Beispiel im Kontext tatsächlich vorliegender körperlicher Krankheiten als „normale Reaktion“ angesehen. Studien zufolge leidet in Pflegeheimen jeder dritte Bewohner  an einer Depression. 

Welche Warnzeichen gibt es bei Altersdepression?

Diehl-Schmid: Typische Zeichen für eine depressive Entwicklung sind eine Verminderung des inneren Antriebs, weniger Lust, etwas zu unternehmen, auch körperliche Schwäche, weniger Kraft, weniger Ausdauer. Viele Patienten klagen über Konzentrationsschwäche und Vergesslichkeit. Dies alles ohne konkrete, körperliche Ursache. Stimmungsschwankungen, Grübeln und Gedankenkreisen, Phasen von Traurigkeit sind ebenfalls Symptome einer Depression. In schweren Fällen fühlen sich die Betroffenen hilflos und verzweifelt, entwickeln Todeswünsche und Suizidgedanken. Ein ganz wichtiges Symptom ist die Schlafstörung. Sie kann als zentrales Symptom auf eine Depression hinweisen. Länger dauernde Schlafstörungen sind daher unbedingt behandlungsbedürftig, nicht mit Schlaftabletten, sondern mit einem umfassenden Therapieansatz, der psychotherapeutische Maßnahmen genauso berücksichtigt wie Medikamente. 

Wie kann die Erkrankung diagnostiziert werden?

Zwanzger: Diagnostiziert werden kann die Depression durch einen Facharzt, durch einen ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten, aber auch durch den Hausarzt. Wir wissen, dass sich sehr viele Patienten zunächst an ihren Hausarzt wenden und dass ebenso viele Hausärzte langjährige und umfassende Erfahrungen mit der Depression-Behandlung haben. Wichtig ist, dass alle gut zusammenarbeiten. 

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Diehl-Schmidt: Eine Depression muss leitliniengerecht therapiert werden. Das bedeutet, dass ab einem gewissen Schweregrad sowohl Psychotherapie, insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie, eine spezielle Therapieform, die sich bei Depression als besonders wirksam erwiesen hat, und Medikamente zur Anwendung kommen. Hier in allererster Linie Antidepressiva. Entgegen anders lautenden Meinungen möchte ich an dieser Stelle betonen, dass Antidepressiva nicht abhängig machen und nicht die Persönlichkeit verändern. In der Regel sind die modernen Substanzen sehr gut verträglich. Die Diskussion um die Abhängigkeit verunsichert viele Patientinnen und Patienten, aber auch Ärzte. Das geht manchmal so weit, dass Patienten aus Angst ihre Medikamente absetzen und dann erneut in eine Depression fallen. Das sollte nicht passieren. 

Gibt es Möglichkeiten zur Vorsorge? Was raten Sie?

Zwanzger: Die gesunde Lebensführung, mit gesunder Ernährung, ausreichend Schlaf, körperlicher Aktivität  und Verzicht auf Nikotin, Drogen oder übermäßigen Alkoholgenuss beugt ebenso vor wie ein soziales Netzwerk. Bei der Altersdepression ist insbesondere eines wichtig: Der Übergang vom Berufsleben ins Rentenalter sollte vorbereitet werden. Es ist nicht günstig, wenn man am ersten Tag im Ruhestand feststellt, dass man sich bisher noch gar keine Gedanken über dessen Gestaltung gemacht hat. Hier gibt es viele Möglichkeiten, so kann man sich beispielsweise vielleicht vermehrt um die Familie oder die Enkelkinder kümmern, um das Haus oder um den Garten, alte Hobbys wieder aufnehmen, neue Hobbys ausprobieren oder vielleicht ist auch ein  Ehrenamt oder eine geringfügige Beschäftigung sinnvoll. 

Wie arbeitet ihr Klinikum mit Betroffenen?

Diehl-Schmid: In unserem Klinikum werden Patientin und Patienten, die unter einer Depression im höheren Lebensalter leiden, umfassend, individuell und leitliniengerecht behandelt. Die stationäre Therapie umfasst – je nach Bedarf – medikamentöse Behandlung, Psychotherapie, Entspannungsverfahren, Bewegungstherapie sowie kreativ-therapeutische Angebote. Sowohl das Zentrum für Altersmedizin als auch der Fachbereich psychosomatische Medizin arbeiten hier eng zusammen. Es gibt Therapiemöglichkeiten für alle schwere Grade. Viele Patienten müssen aber gar nicht stationär behandelt werden, hier reicht oftmals eine gute ambulante Behandlung aus. Auch hier arbeiten wir sehr gut mit den niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten zusammen.

Interview: Heike Duczek

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