„Ich dachte, mein Leben ist vorbei“

von Redaktion

So lebt Oliver Simke (58) aus Albaching mit der Diagnose Krebs

Wasserburg/Albaching – Nach einem schweren Schicksalsschlag hinfallen, aufstehen und das Beste daraus machen: Dafür ist Oliver Simke aus Albaching wohl das beste Beispiel. Seit über vier Jahren lebt der 58-Jährige mit der Diagnose Lungenkrebs.

Angefangen hat alles im Herbst 2020. „Ich war körperlich in keiner guten Verfassung, war oft krank, mit Husten oder Lungenentzündung. Ich bin auch Asthmatiker. Als ich einen kleinen Hügel hinaufgegangen bin, habe ich kaum mehr Luft bekommen. Daraufhin habe ich mich untersuchen lassen“, berichtet er. Beim Röntgen der Lunge konnte nichts festgestellt werden und auch bei der Bronchoskopie des rechten Lungenflügels gab es noch keine Diagnose. Erst nach dem PET-CT war klar: Es ist Lungenkrebs. Der rund zwei-Mark-Stück große Tumor sitzt genau hinter seinem Herz, weswegen er auch beim Röntgen nicht zu sehen gewesen war, erklärt der Albachinger.

„Man darf nicht
verzweifeln“

„Die Tür zur Radiologie stand offen und die Ärzte haben ein PET-CT besprochen und die vielen Metastasen gezählt. Ich habe schon geahnt, dass es mein Befund sein könnte.“ Der Verdacht bestätigt sich. Simke hat eine Art von Krebs, der zwar langsam wächst, aber stark metastasierend ist. In der Wirbelsäule, Leber und in den Lymphknoten wurden bereits Metastasen entdeckt. „Mir wurde mitgeteilt, dass ich Krebs im Stadium 4 habe und nur noch palliativ behandelt werden kann“, berichtet er. Zum Zeitpunkt der Diagnose dachte Simke: „Mein Leben ist vorbei.“ Nach dem Befund ging es für den Albachinger los: Chemo, Bestrahlung, Immuntherapie. „Das hat natürlich seine Spuren hinterlassen“, erklärt er. Doch aufgeben kam für ihn nicht infrage. „Man darf nicht verzweifeln, nicht aufgeben“, betont er. „Man muss leben wollen und seine Zukunft vor sich sehen. Zum Zeitpunkt der Diagnose wusste ich ja nicht einmal, ob ich Weihnachten noch lebe.“

Die für ihn drei wichtigsten Dinge nach der Diagnose: „Bewegung, Ernährung, kein Alkohol“, sagt er. „Sich nur auf die Schulmedizin verlassen, war für mich nicht der richtige Weg“, erzählt er. „Ich habe eigentlich täglich Fleisch und Wurst gegessen, mittlerweile habe ich das auf ein, zwei Tage in der Woche reduziert und meine Ernährung auf die mediterrane Küche umgestellt. Das war auch nicht so schwer, weil meine Frau sowieso Vegetarierin ist“, erzählt er.

Krebs ist
mittlerweile inaktiv

Täglich gehe er mit dem Hund Gassi, „egal, wie schlecht es mir gegangen ist.“ Bewegung sei das A und O. „Man bekommt den Kopf frei, es fällt leichter, positiv zu denken“, weiß er aus Erfahrung.

Sein Leben lang hat Simke, der nie geraucht hat, viel Sport getrieben, ist Fahrrad gefahren und weite Strecken gelaufen. „Mein Körper war Belastung gewohnt. Vielleicht einer der Gründe, warum ich die Behandlungen so gut weggesteckt habe. Ich hatte keinen Haarausfall und wenige Nebenwirkungen“, erinnert er sich. Heute ist sein Krebs inaktiv und die Kontrolluntersuchungen finden anstatt alle drei Monate, nur noch jedes halbe Jahr statt.

Alltag bekommt
andere Bedeutung

„Wenn diese Termine anstehen, holt mich meine Erkrankung schon wieder ein“, gibt er zu. „Dann mache ich mir viele Gedanken, bis es überstanden ist.“ Hinterher gehe er wieder seinem Alltag nach – wobei der Begriff „Alltag“ für Simke mittlerweile eine andere Bedeutung hat. „Ich versuche, meine Zeit aktiv zu nutzen“, erklärt der 58-Jährige. Er und seine Frau haben sich ein Wohnmobil gekauft und würden viele Reisen damit unternehmen. „Es reicht schon, wenn wir damit nach Waging oder an den Chiemsee fahren und uns einfach eine Auszeit nehmen.“

„Ich habe noch Zeit.
Die will ich nutzen“

Doch auch er habe nach dem Befund die „Diagnose Krebs“ durchgespielt und sei „gedanklich in der Tiefe“ gewesen. Mithilfe von Gesprächen, auch mit psychologischen Beratern, habe er sich davon befreien können. „Ich dachte: Ich habe noch Zeit. Die will ich nutzen.“

So habe sich Simke bald wieder aufs E-Bike geschwungen, auch wenn er akzeptieren musste, dass er nicht mehr so leistungsfähig ist wie davor. Seinen Job behielt der Albachinger ebenfalls. „Ich bin in Teilzeit tätig, mehr schaffe ich gar nicht. Aber mein Arbeitgeber hat mir das ermöglicht und steht voll hinter mir“, erzählt der Ingenieur für Elektrotechnik. Auch Arbeiten im Mobile Office sei kein Problem. So habe Simke jüngst die Möglichkeit genutzt, nach Spanien zu reisen. „Ich habe bis Mittag gearbeitet und mir nachmittags Barcelona angeschaut. Innerhalb von drei Wochen bin ich bis nach Valencia gekommen. Ich war vorher noch nie dort“, erzählt er mit strahlenden Augen.

„Ich bin ein positives Beispiel dafür, wie es nach einer solchen Diagnose weitergehen kann“, sagt er. So reifte auch der Gedanke heran, eine Selbsthilfegruppe für Krebskranke zu gründen. „Die nächste war in Rosenheim, das war mir zu weit.“

Mithilfe der evangelischen Kirchengemeinde in Wasserburg, die den Raum zur Verfügung stellt, wurde dies möglich gemacht. So finden seit Dezember 2023 am ersten Montag im Monat dort Treffen von Betroffenen für Betroffene statt. „Wir sind meistens um die acht Leute, alle mit verschiedenen Befunden: Mammakarzinom, Lungen-, Prostata-, Magen-Darm-Krebs oder Glioblastom“, berichtet Simke.

Geredet werde dort über vieles. „Wir haben das Thema Krebs intensiv besprochen. Es gibt viele Parallelen, vor allem, wenn man die Diagnose frisch bekommen hat“, weiß Simke. „Ansonsten reden wir über Steuern, Urlaub, Freizeit“, zählt der Initiator der Selbsthilfegruppe auf, „oder wir gehen auch mal essen“. Das Wichtigste für den Albachinger: „Wir wollen die Zeit, die wir haben, aktiv gestalten – aktiv leben.“

Auch wenn es zwischendurch immer wieder dunkle Tage gibt, zählen für ihn am Ende die Glücksmomente und die Lebensfreude. „Ich habe immer noch Wünsche“, macht er klar – und diese will er sich auch weiterhin erfüllen.

Selbsthilfegruppe für Krebskranke

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