Katastrophenalarm am Abend

von Redaktion

Aus dem OVB-Zeitungsarchiv Jahrhunderthochwasser 2005

Mühldorf/Wasserburg – „Bange Frage: Kommt nachts die große Flut?“, die Frage, die sich an diesem Tag wohl viele gestellt haben dürften, war am Dienstag, 24. August 2005 die Überschrift in einem ausführlichen Bericht über den Stand der Dinge im Oberbayerischen Volksblatt (OVB). „Es schüttete wie aus Kübeln: Andauernder Starkregen ließ gestern den Pegel der heimischen Flüsse dramatisch ansteigen. Besonders kritisch war die Lage am Inn. Doch die meisten Deiche hielten – zumindest bis zum Abend. Dann musste Katastrophenalarm ausgelöst werden. Bis Redaktionsschluss stand zudem fest: Die Pegel steigen weiter. Es droht ein Jahrhundert-Hochwasser. Um 19.30 Uhr wurde vorsorglich mit der Evakuierung vieler Häuser in Hofleiten begonnen. Banges Warten auch in Wasserburg. Dort wurden die höchsten Pegelstände für 24 Uhr vorhergesagt.“

Krisenstab im
Landratsamt

„Wir rechnen nur mit einer mittleren Hochwasser-Lage. Noch ist die Situation nirgends ausgeprägt gefährlich“, habe Paul Geisenhofer, der Chef des Rosenheimer Wasserwirtschaftsamtes, noch am Vormittag die Lage zusammengefasst. Doch dann habe es immer weiter geregnet und Tief „Norbert“ nochmal kräftig für Wassernachschub gesorgt. In Tirol sei der Inn bedrohlich angeschwollen. „Die braune Flut wälzte sich das Inntal hinab in Richtung Rosenheim und Wasserburg. Gegen 15 Uhr trat im Landratsamt der Krisenstab zusammen.“ Im Laufe des Nachmittags habe sich die Lage weiter zugespitzt. „Ängstlich blickten auch die Wasserburger auf ihren Hochwasserschutz rund um die Innschleife. Die Altstadtbrücke musste bereits gegen 15 Uhr gesperrt werden. Das Wasser rauschte nur mehr knapp einen halben Meter unter der ‚Roten Brücke‘ hindurch.“ Um 17 Uhr sei dann der Katastrophenalarm ausgelöst worden.

„Kein Auge zugemacht“, habe Hermine Grötzbach, berichtet dann Heike Duczek in ihrem Artikel am Tag darauf über die Eindrücke der 68-Jährigen aus Hofleiten, direkt am Inn. „In den 50er-Jahren und 1985 haben wir schon einmal dramatische Hochwasser erlebt. Doch so schnell wie diesmal ist der Inn noch nie angestiegen.“ Gegen 19 Uhr hätten sie und ihr auf einen Rollstuhl angewiesener Ehemann deshalb erstmals in ihrem Leben am Fluss evakuiert werden müssen. „Schlimm, wenn man alles zurücklassen muss und nicht weiß, wie man sein Haus vorfindet, wenn man wieder heimkehren kann.“

Unterdessen kam es, wie wir aus einem weiteren Bericht des OVB von jenem Tag erfahren, auch im Nachbarlandkreis Mühldorf zu Besorgnis erregenden Zuständen. „In Mühldorf wurde bereits am Dienstagabend der Katastrophenfall erklärt. Der Pegel stand gestern um 9.30 Uhr bei 7,99 Metern und damit um 33 Zentimeter höher als beim Jahrhundert-Hochwasser 1985. Zwei Stunden lang machten sich Bundesinnenminister Otto Schily und Bayerns Innenminister Dr. Günther Beckstein vor Ort ein Bild der Lage und sicherten den Betroffenen schnelle und unbürokratische Hilfe zu. Wie in Mühldorf, so wurden auch in den Waldkraiburger Ortsteilen Au, Hausing und Niederndorf, sowie in Jettenbach Gebäude überschwemmt. Entgegen anders lautenden Rundfunkmeldungen hielt der Damm in Kraiburg den Wassermassen stand.“

Lage
stabilisiert sich

Am späten Nachmittag habe sich die Lage stabilisiert.

„,Das ist mein Paradies‘. Noch am Morgen vor der Flut hatte dies Markus Pöhmerer in seinem Garten direkt unter der Wasserburger Burg nachdrücklich versichert“, berichtet dann am 26. August Karl Königbauer. „Nun hat das Wort ‚Paradies‘ eine neue Bedeutung. Den Garten gibt es nämlich nicht mehr, stattdessen liegt hier ein riesiger Haufen Schwemmholz. Ganz oben auf aber fand der Wasserburger Geschäftsmann und Stadtrat eine Madonna aus Holz.“ In direkter Nachbarschaft sei die Stelle gewesen, wo in der Nacht der Damm undicht wurde. „Dass dieses Loch nicht größer wurde und letztlich doch nur ein kleiner Teil der Stadt überflutet wurde, das könnte man durchaus als ein kleines Wunder der Madonna ansehen.“ Seither hat sich in Sachen Hochwasserschutz in Wasserburg einiges getan, wie Anna Weinfurtner kürzlich im OVB berichtete. Der Deich wurde an verschiedenen Stellen um 50 bis 80 Zentimeter erhöht sowie 2007 und 2008 der Deich am Riedener Weg um 80 Zentimeter sowie die Mauern gegenüber vom Blaufeld, auf Höhe des Zirnwegs und beim Ziehweg um 50 Zentimeter erhöht. Zudem wurde die Schwachstelle am alten Kanal behoben.

Nichts
Überflüssigeres

Den Menschen in der Innstadt ist das Geschehen indessen immer noch im Gedächtnis: „Es war grausig, absolut grausig“, berichtete Feuerwehrmann Thomas Rothmaier gegenüber Weinfurtner und ihrer Kollegin Sophia Huber. „„Das hat gestunken, das kann man sich nicht vorstellen“, erinnerte sich auch sein Kollege Rudi Göpfert an die Aufräumarbeiten. Doch gegen Ende des Gesprächs habe er auch mit einem Augenzwinkern ergänzt: „Es gibt nichts Überflüssigeres als Hochwasser.“

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