Wasserburg – Es gibt wohl kaum eine Familie in Deutschland, die nicht betroffen ist von ihr: Demenz ist eine Volkskrankheit. Kein Wunder, denn jede zweite Person über 90 Jahren hat eine Form dieser Erkrankung. Demenzkranke machen auch den Großteil der Patienten von Professorin Dr. Janine Diehl-Schmid, Leiterin des Zentrums für Altersmedizin am kbo-Inn-Salzach-Klinikum, aus. Am morgigen Mittwoch bietet das Klinikum deshalb auch zum vierten Mal den Wasserburger Demenznachmittag an. Themen im Festsaal (Haus 21) werden von 14 bis 17 Uhr unter anderem die Diagnostik, Behandlung, rechtliche Vorsorge und die Prävention der Krankheit sein.
Doch die Versorgung von demenziell erkrankten Personen beinhaltet auch noch ganz andere Aspekte. Diehl-Schmid weiß das, seit Jahren beschäftigt sie sich deshalb auch mit dem Thema demenzsensible Architektur. Viele Dinge davon sind auch im Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg umgesetzt, einiges lässt sich auch auf die eigenen vier Wände übertragen.
„Leuchttürme“ als
Orientierungspunkt
„Unser Ziel ist es immer, Orientierung, Sicherheit, Bewegungsmöglichkeiten und Geborgenheit zu bieten“, erklärt Professorin Diehl-Schmid. Auf der geriatrischen Station bedeutet dies etwa, „Leuchttürme“ zu bieten. Also Punkte, die die Patienten wiedererkennen und an denen sie sich orientieren können. In der geriatrischen Abteilung dient dafür eine Sitzecke mit Bildern, Pflanzen und Bänken. Für die eigenen vier Wände sei so etwas meist nicht nötig. Doch es gibt laut Diehl-Schmid durchaus Möglichkeiten, auch zu Hause für mehr Geborgenheit zu sorgen. Räume sollten etwa eher mit dunklem Boden und heller Decke ausgestattet werden. „So sind wir es auch von der Außenwelt gewöhnt“, sagt Diehl-Schmid.
Grüne Wände könnten für Entspannung sorgen, während die Farbe Orange den Appetit anrege. „Rot ist in jedem Fall zu vermeiden, das ist eine Warn- und Signalfarbe.“ Wer wandernde Angehörige habe, könne auch auf Techniken zurückgreifen, wie Türen zu verkleiden. Das vermeide nicht nur das Weglaufen, sondern reduziere unter Umständen auch Stress bei den Demenzkranken. „Bei uns auf Station sind einige Türen mit Folien versehen, die sie wie Bücherregale aussehen lassen“, erklärt Diehl-Schmid. Das funktioniere sehr gut, ein Großteil der Patienten würde die Tür dadurch gar nicht als solche wahrnehmen.
Grundsätzlich gelte ohnehin: „Nicht anbieten, was nicht gewünscht ist“, so Diehl-Schmid. Wer etwa einen „räumenden“ Angehörigen betreue, der gerne Regale öffne und Dinge ausräume, der sollte das teure Porzellangeschirr besser wegpacken. Stattdessen sei es sinnvoll, Alternativen anzubieten, die ausgeräumt werden dürften. Manchmal sei es auch sinnvoll, Spiegel abzuhängen. „Manche Patienten mit forgteschrittener Demenz erkennen sich selbst nicht mehr und werden durch einen Spiegel, in dem dann eine fremde Person zu sehen ist, verunsichert“, so Diehl-Schmid. Das A und O laut Expertin sei allerdings: Stolperfallen vermeiden. Also alle Teppiche und andere Hindernisse entfernen. „Sehr viele Personen mit einer Demenzerkrankung sind stark sturzgefährdet“, so Diehl-Schmid. Nicht nur, weil im Alter ohnehin das Sturzrisiko steigt. „Das Gehirn kann schlecht mehrere Dinge gleichzeitig verarbeiten. Ein gesunder Mensch steigt über Stolperfallen oft ganz automatisch darüber. Das kann ein Demenzpatient nicht mehr leisten.“
Wichtig sei deshalb auch, möglichst alle Räume mit Bewegungsmeldern auszustatten, um stets für Licht zu sorgen und Stürzen vorzubeugen. Unruhige Muster im Boden sollten dagegen vermieden werden, diese würden Personen mit Demenzerkrankungen oft überfordern.
Übertreiben sollten Angehörige es aber trotzdem nicht mit etwaigen Umbaumaßnahmen. „Meistens fühlen sich die Patienten in ihrer gewohnten Umgebung am wohlsten und können sich dort auch lange gut orientieren“, so Diehl-Schmid. Deshalb rate sie auch Angehörigen immer, Umbaumaßnahmen nur in kleinen Dosen durchzuführen und sich den Schritt zurück offenzuhalten. Heißt: Beim Kauf eines Pflegebettes nicht gleich das alte Bett wegwerfen, denn gut möglich, dass sich die Betroffenen im alten Möbelstück wohler fühlen.
Assistenzsysteme
oft nicht sinnvoll
Übertreiben sollten Angehörige es auch nicht mit der Investition in digitale Assistenzsysteme. Zwar gebe es durchaus sinnvolle Angebote, wie Armbänder, die Stürze wahrnehmen könnten. Aber andere Hilfeleistungen, wie Apps, die an die Medikamenteneinnahme erinnern, seien meist wenig sinnvoll. „Von diesen Anbietern wird oft die digitale Kompetenz der Demenzpatienten überschätzt“, sagt Diehl-Schmid. Denn selbst wenn diese kurz vor Ausbruch ihrer Erkrankung im Besitz von Smartphones gewesen seien, sei dies eine Fähigkeit, die schnell verlernt werde, da sie erst im späteren Alter erlernt worden sei. In 20 Jahren könne die Situation anders aussehen. „Dann werden Personen an Demenz erkranken, für die das Handy jahrelang Teil des Alltags war.“