Forscher in Italien machen schreckliche Entdeckung

Magma brodelt unter dem Apennin

von Redaktion

von Ingo-Michael Feth

Neapel – Wer in Rom und Umgebung wohnt, kennt die Situation: Ein paar wenige Sekunden nur, in denen Boden und Wände zittern. Als wenn unten in der Straße ein Lkw vorbeifährt, nur lautlos. Fast hat man sich daran gewöhnt. Vor allem, da die immer wiederkehrenden Erdstöße, die oft bis in den Großraum der Hauptstadt zu spüren sind, bislang keine größeren Schäden mehr angerichtet haben.

Zwar sind im Erdbebengebiet von Amatrice, Arquata del Tronto und den anderen Bergorten im Zentralapennin immer wieder Ruinen eingestürzt, doch die Orte gleichen ohnehin noch immer einer Trümmerwüste und sind weiträumig abgesperrt – Zutritt streng verboten. Während sich Klagen und Wut der betroffenen Bewohner über den schleppenden Wiederaufbau und die mangelhafte Versorgung mit Notunterkünften auf das Feld der Politik verlagert haben, versuchen Wissenschaftler, den Ursachen für die nicht enden wollende seismische Aktivität auf dem Stiefel herauszufinden.

Dabei machten sie nun, quasi beiläufig, eine Entdeckung, die in diesen Tagen die Bürger Süditaliens bewegt. In der südöstlichen Campagna, der Gegend um Benevent, befindet sich in der Tiefe unterm Apennin offenbar eine Magmakammer erheblichen Ausmaßes. Das teilte das Nationale Institut für Geophysik und Vulkanologie in Neapel mit. Die Magmaquelle, etwa 20 Kilometern tief im Erdinnern gelegen, könne nach Angaben der Forscher jederzeit Erdbeben von „erheblicher Magnitude“ auslösen, und zwar von viel katastrophaleren Ausmaßen als jene im August und September 2016 in Mittelitalien. Von der potenziellen Gefahr unmittelbar betroffen ist das Grenzgebiet zwischen den Regionen Kampanien, Kalabrien, Apulien und Molise. Der Fund der Geologen steht nicht in Verbindung mit dem schlummernden Supervulkan unter dem Golf von Neapel und den phlegräischen Feldern – jener brodelnden Mondlandschaft bei Pozzuoli, nördlich der Traumbucht und ihrer Hafenmetropole.

Die Wissenschaftler sind über ihre Entdeckung einigermaßen erstaunt. Der Apennin gilt, ähnlich den Alpen, als sogenanntes Faltgebirge, aufgeworfen an jenem Graben in den Tiefen der Erde, wo sich die afrikanische Kontinentalplatte unter die europäische schiebt. Das führt naturgemäß zu tektonischen Spannungen und somit seismischen Aktivitäten. Nicht umsonst gelten Teile des Apennins als hochgefährdet. Fast jeder der unzähligen malerischen Orte mit ihren oftmals unbekannten Kunstschätzen entlang des Hauptkamms ist schon einmal im Laufe der Geschichte von einem Erdbeben zerstört worden.

Überrascht sind die Geologen von der vulkanischen Aktivität inmitten eines Faltgebirges. Atmende Blasen mit kochend-flüssigem Magma und dessen Gasen können bei ihren Bewegungen deutlich mehr Energie freisetzen und daher zu unvergleichlich stärkeren Spannungen innerhalb der Erdkruste führen. Man kann sich das bildhaft vorstellen wie ein scheppernder Kochtopf auf siedendem Wasser. Die Risiken eines gewaltigen Bebens, so die Wissenschaftler, stiegen dadurch deutlich. Im Laufe von mehreren Jahrtausenden könnte sich der südliche Teil des Apennins in ein Vulkangebirge umformen, ähnlich etwa den südamerikanischen Anden.

Für den italienischen Zivilschutz bedeutet die Entdeckung eine neue Herausforderung. Dabei sind die bestehenden schon groß genug. Die Sorge vor einem erneuten Ausbruch des Vesuvs oder einer verheerenden Eruption des Supervulkans unterm Golf von Neapel bereitet den Behörden Kopfzerbrechen. Auch wenn die Aktivitäten im Erdinnern in dieser Region so dicht überwacht und gemessen werden wie nirgendwo sonst auf der Welt: Eine vollständige Evakuierung des Großraums Neapel, eine der am dichtesten besiedelten Regionen Italiens, wäre praktisch ein Ding der Unmöglichkeit. Die Bewohner am Golf haben über zweitausend Jahre hinweg gelernt, mit der ständigen Gefahr zu leben. Trotz aller Unkenrufe ist die Stadt bislang nicht untergegangen. Die Bewohner des südlichen Apennin-Hauptkamms, die sprichwörtlich auf einer Magmablase sitzen, können angesichts der neuen Gefahr von der Gelassenheit der Neapolitaner nur lernen: Wenn gar nichts mehr hilft, rücken sie dem Vulkan mit Heiligenprozessionen und Madonnenstatuen zu Leibe.

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