Zum 20. Jahrestag an diesem Sonntag

Die ICE-Tragödie von Eschede

von Redaktion

Eschede – Der kleine Ort Eschede wird 1998 zum Synonym für eine Katastrophe – bis heute. Auf der Fahrt von München nach Hamburg entgleist der ICE 884 „Wilhelm Conrad Röntgen“ am 3. Juni 1998 um 10.58 Uhr und zerschellt an einer Brücke in der niedersächsischen Stadt. Beim schwersten Bahnunglück in der Geschichte der Bundesrepublik sterben 101 Menschen. Ein Überblick:

-Ein Reifenbruch führt zur Katastrophe

Sechs Kilometer vor Eschede bricht wegen Materialermüdung ein gummigefederter Radreifen, der Schwingungen dämpfen soll. Ein Metallteil ragt unter dem Zug hervor und verhakt sich vor dem Bahnhof des Orts in einer Weiche. Die Achse entgleist und verstellt eine zweite Weiche, der folgende Wagen schwenkt bei einer Geschwindigkeit von 200 Kilometern pro Stunde aufs Nebengleis. Der querschießende Waggon prallt gegen den Pfeiler einer Brücke, die einstürzt und zwei Waggons zerquetscht. Die folgenden Wagen werden in Sekunden gegen das Hindernis gedrückt, die vorderen Waggons fliegen aus dem Gleis.

-Größter Rettungseinsatz der deutschen Geschichte Die Bilder der Unglücksstelle mit den teils zerfetzten, teils wie eine Ziehharmonika zusammengeschobenen Waggons gehen um die ganze Welt. 2000 Feuerwehrleute, Sanitäter und Notärzte, Mitglieder des THWs, Polizisten und Soldaten werden zusammengezogen. Es ist der größte Rettungseinsatz, den das Land nach einem Unfall je sah. Die Bergung der Trümmer und der Toten dauert Tage.

-Das Leiden von Angehörigen, Opfern und Helfern

Das Unglück ist eine nationale Tragödie, Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) fährt zur Unglücksstelle. Opfer und Angehörige aber leiden bis heute unter den körperlichen und seelischen Folgen. Die Betroffenen gründen die „Selbsthilfe Eschede“, um für Anerkennung ihrer Leiden zu kämpfen. Auch ein Drittel der Retter nutzt Gesprächsangebote zur psychischen Nachsorge. Das Unglück ist der Startschuss zum Ausbau von Kriseninterventionssystemen.

-Zerrüttetes Verhältnis zur Deutschen Bahn

Das Verhältnis zwischen Deutscher Bahn und Hinterbliebenen ist lange belastet. Es geht nicht nur um Fragen materieller Entschädigung: Erst 2013 – 15 Jahre nach dem Unglück – bittet der damalige Bahnchef Rüdiger Grube bei der jährlichen Gedenkfeier in Eschede im Namen der Bahn offiziell um Verzeihung.

-Die juristischen Folgen

Unbefriedigend verläuft aus Sicht der Opfer die Klärung möglicher Verantwortlichkeiten. Drei Ingenieure der Bahn und des Herstellers des gebrochenen Radreifens wird der Prozess wegen fahrlässiger Tötung gemacht. Laut Anklage sollen sie das Bauteil bei der Entwicklung nicht ausreichend auf Bruchfestigkeit getestet und Kontrollen nicht angepasst haben. Die Angeklagten bestreiten, die Bahn sieht keine Schuld. 2003 stellt das Landgericht Lüneburg den Prozess gegen Geldbußen ein. Die Männer treffe „keine schwere Schuld“. Hinterbliebene scheitern auch mit Zivilklagen auf eine höhere Entschädigung.

-Was hat das Unglück genau verändert?

Bahn und Behörden ziehen Lehren aus der Tragödie. So verzichtet die Bahn trotz Vorteilen auf gummigefederte Radreifen und setzt wieder auf massive Vollgussräder. Zudem werden Weichen vor Brücken nicht mehr gebaut. Rettungskräfte erhalten Spezialkettensägen und stärkere Trennschleifer, um sich besser Zugang zu Wracks verschaffen zu können. Auch vergibt die Bahn nie wieder die Zugnummer und den Namen von ICE 884 „Wilhelm Conrad Röntgen“.

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