Harrisburg – „Es ist entsetzlich“. Wer das Fazit von Pennsylvanias Justizminiser Josh Shapiro, gesprochen bei der Vorstellung des bisher umfangreichsten Berichts zu sexuellem Missbrauch in sechs Diözesen der katholischen Kirche in den USA, nachvollziehen will, hat dafür Zahlen. Mehr als tausend Opfer, 300 Priester als mutmaßliche Täter. Und dann sind da die erschütternden Fallbeispiele, aufgelistet auf knapp 900 Seiten und bis ins Jahr 1947 zurückreichend.
In der Diözese Greensburg, so heißt es im Report, schwängerte ein Priester eine 17-Jährige. Dann fälschte er die Unterschrift eines Pastors auf einer Heiratsurkunde und nahm das Mädchen gegen die Kirchen-Regeln zur Ehefrau. Nach der Scheidung habe er, geschützt von einem wohlwollenden Bischof, im Amt bleiben dürfen. Oder dieser Fall: In der Diözese Harrisburg missbrauchte ein Pfarrer fünf von acht Schwestern einer Familie, sammelte Urinproben und Schamhaare von ihnen.
Noch nie war eine Untersuchung zum systematischen Missbrauch innerhalb der Kirche in den USA so umfangreich – und am Ende für die Opfer so frustrierend. Denn bis auf zwei Fälle sind die Anschuldigungen, die oft auf detaillierten Kirchenunterlagen aus Geheimarchiven zum Missbrauch und der folgenden Vertuschung basieren, verjährt, was auch dem Verhalten der Kirchenführung zugeschrieben wird. „Priester vergewaltigten kleine Jungen und Mädchen,“ heißt es dort, „und die Gottesmänner, die für sie verantwortlich waren, blieben nicht nur untätig, sie vertuschten alles. Für Jahrzehnte.“
Die Täter seien meist beschützt worden, oder sogar befördert. Oder erhielten Empfehlungen für eine neue Stelle. Wie der Priester in Allentown, der nach Angaben des Berichts mehrere minderjährige Jungen missbraucht haben soll und dann dank positiver Stellungnahmen seiner Vorgesetzten ausgerechnet in „Disney World“ seine nächste Stelle fand.
Für die Kirche hatte Justizminister Shapiro am Dienstag, umgeben von Opfern und ihren Angehörigen, scharfe Worte der Kritik. Die Institution sei „um jeden Preis“ beschützt worden. Und: Die Kirche habe den Opfern völlige Verachtung gezeigt.
Für fast alle Opfer wird es keine späte Genugtuung geben: Rund 100 der 300 beschuldigten Priester sind nicht mehr am Leben. Und im Bundesstaat Pennsylvania verjährt der Missbrauch Minderjähriger, wenn das Opfer 30 Jahre alt wird. Ein Gesetz, das nun dem Druck von Betroffenen folgend in einem erneuten Anlauf geändert werden könnte.
Friedemann Diederichs