Zentrale Trauerfeier zum Brückeneinsturz

„Die Welt umarmt Genua“

von Redaktion

Genua – Immer wieder unterbricht lautes Klatschen die andächtige Ruhe kurz vor der zentralen Trauerfeier unweit des Hafens in Genua. Es ist der Applaus für die Feuerwehrmänner und die anderen Retter, die in den vergangenen Tagen unermüdlich in den Trümmern des Polcevera-Viadukts nach Überlebenden gesucht haben. Sie sind die Helden der Stadt in diesen dramatischen Tagen, ein Halt inmitten der großen Trauer.

Immer wieder auch Applaus, als die tausenden Besucher auf Leinwänden die Särge der Opfer sehen. Mit Blumen verziert sind sie ganz vorne aufgereiht. Immer wieder treten Angehörige an die Särge heran, küssen und berühren sie, nehmen tränenreich Abschied. Nie wurde die Bestürzung in den Tagen nach dem Einsturz der Morandi-Brücke deutlicher als an diesem Samstagvormittag.

43 Tote kamen bei dem Unglück am Dienstag ums Leben, zahlreiche wurden teils schwer verletzt. Die letzten Leichen wurden in der Nacht zum Sonntag aus den Trümmern geborgen. Vermisst wird offiziell niemand mehr. Rund 560 Anwohner mussten ihre Wohnungen verlassen. Fast jeder in der Stadt mit gut 500 000 Einwohnern ist irgendwie vom Unglück betroffen, geschockt, fassungslos. Zur zentralen Trauerfeier kamen rund 10 000 Menschen.

„Auf Genua schaut derzeit die ganze Welt, in einer großen Umarmung aus Emotionen, Zuneigung und Erwartung“, sagt Genuas Erzbischof, Kardinal Angelo Bagnasco. Jedes menschliche Wort, so aufrichtig es auch sei, verblasse vor dieser Tragödie. Keine Rechtsprechung könne das Verlorene zurückgeben.

In einer bewegenden und ebenfalls von Applaus unterbrochenen Ansprache macht Bagnasco klar, dass der Tag der Staatstrauer auch ein Tag des Mutes sein soll. Genua habe mit dem Viadukt eine „essenzielle Arterie“ verloren, aber die Stadt werde kämpfen – wie schon in anderen schweren Situationen. Als ein Geistlicher die Namen der bisher identifizierten Opfer vorliest, gibt es erneut lauten Applaus. Genua nimmt die Herausforderung an.

Dennoch hat die Veranstaltung einen Beigeschmack. Auch wenn die Trauerfeier allen Opfern gilt, stehen hier nur 18 Särge. Einige Angehörige von Opfern nehmen aus Protest nicht daran teil. Sie halten das Schaulaufen der Politiker für eine Schande. Andere halten Trauerfeiern in ihren eigenen Gemeinden ab. Alle beschäftigt die Frage, wie es zu dem Brückeneinsturz kommen konnte. Die Regierung hat ihre Schuldzuweisungen gegen den Betreiber der Autobahn Tag für Tag verschärft, doch aus der Sicht einiger Opferfamilien trifft auch die Politik eine große Schuld.

Die Katastrophe von Genua ist so innerhalb weniger Tage zu einem großen Politikum geworden. Matteo Salvini, Italiens Innenminister erhält kräftigen Applaus, als er zur Trauerfeier eintrifft. Premierminister Giuseppe Conte hatte am Freitag einen Prozess eingeleitet, um der privaten Betreibergesellschaft ihre Lizenz zu entziehen. Auch Vertreter der Firma kommen zu der Zeremonie. Hauptgeschäftsführer Giovanni Castellucci weist bei einer Pressekonferenz die Verantwortung für den verheerenden Brückeneinsturz in Genua von sich. „Wir denken nicht, dass die Voraussetzungen vorliegen, Verantwortung für ein Ereignis zu übernehmen, dessen Ursache zunächst noch ermittelt werden muss“, sagte er, entschuldigte sich aber zugleich, nicht genügend Mitgefühl für die Opfer gezeigt zu haben. Autostrade per l’Italia hat 500 Millionen Euro für den Wiederaufbau der Autobahnbrücke sowie für Hilfszahlungen an die Stadt Genua zugesagt. Seine Gesellschaft könne eine neue Brücke in acht Monaten bauen, sobald die nötigen Genehmigungen vorlägen, sagte Castellucci weiter. Die italienische Regierung hatte angekündigt, weitere 28,5 Millionen Euro Soforthilfe bereitzustellen, zusätzlich zu den versprochenen fünf Millionen Euro. Der Versicherer Allianz ist übrigens auch, und zwar gleich zweifach vom Brückeneinsturz betroffen: Der Konzern gehört nicht nur zu den Versicherern des Bauwerks, sondern ist auch an der Betreibergesellschaft beteiligt.

Die Trauerfeier an sich bleibt aber weitgehend unpolitisch. Zu groß ist die Bestürzung und zu wichtig ein würdiger Abschied von den vielen Opfern, die unvermittelt aus dem Leben gerissen wurden. Doch die Probleme werden kommen. Der 14. August 2018 wird die Stadt noch lange beschäftigen. Politisch, wirtschaftlich – und menschlich.

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