München – Erst ist es die Suche nach dem Schlüssel, dann die vergessene Verabredung, später wird der Heimweg schwer – und die eigenen Kinder werden zu Fremden. Demenz lässt Menschen im Vergessen versinken. Manche laufen immer wieder weg. Denn selbst das eigene Heim ist plötzlich fremd – sie wollen nur nach Hause. Immer mehr Pflegeheime haben daher in den Gärten Wege, die letztlich im Kreis führen: Verlaufen unmöglich. Aber die Menschen können ihr starkes Bewegungsbedürfnis gefahrlos ausleben. Betreuer, Ärzte und Architekten bemühen sich verstärkt, mit der Gestaltung von Räumen auf die schwindenden geistigen Fähigkeiten einzugehen.
„Wenn der Mensch sich nicht mehr an die Umwelt anpassen kann, dann muss sich eben die Umwelt an den Menschen anpassen“, sagt die Leiterin des Bayerischen Instituts für Alters- und Demenzsensible Architektur, Birgit Dietz, zum heutigen Weltalzheimertag. Licht, Farben, Gerüche, Akustik und Bildzeichen können unterstützen: „Wie können die Menschen eine Art persönlichen Stadtplan im Kopf entwickeln: das eigene Haus oder Zimmer erkennen, wie kommen sie zur Toilette.“ Gebe es in dieser etwa gegenüber der Türe einen Spiegel, meine mancher Demenzkranke, der sich darin sieht, die Toilette sei besetzt. Also wird der Spiegel umgehängt.
In der Klinik der Technischen Universität München für Psychiatrie und Psychotherapie probierten die Leiterin der Demenzambulanz, Janine Diehl-Schmid, und die Architektin Dietz unterschiedliche Dinge aus, um den Menschen mehr Sicherheit und Orientierung zu bieten, etwa bei den Böden: durchgehend hellgrau – oder grau mit schwarzem Querstreifen. Die Patienten sahen letzteres als Stufe oder gar als Falltüre, was Stolpergefahr mit sich bringt. Schwer ist es, an der Erlebniswelt der Patienten teilzuhaben. „Man weiß wenig darüber. Das ist die Krux an der Erkrankung: Die Leute können es uns nicht mehr berichten. Wir können nur genau beobachten“, sagt Diehl-Schmid.
Bewegungsmelder und Lichtstreifen können Wege weisen, farbige Markierungen lassen Lichtschalter, Waschbecken, Toilettenbrillen oder Teller besser erkennen. Beschriftungen oder Bilder an Schränken erleichtern das Finden von Dingen, selbst abschaltende Elektrogeräte bannen Gefahren. „Das Nächste wird sein: Wie können Digitalisierung und Smartphone-Anwendungen weiterhelfen?“, überlegt Diehl-Schmid.
Es gehe darum, sich in die immer mehr in Einzelteile zerfallende Welt der Betroffenen hineinzudenken, sagt Dietz. Wenn etwa schwarze Muster im Boden als Löcher wahrgenommen werden, könnte das heißen: „Lasst uns keine schwarzen Gullydeckel machen.“ Wer von einer Situation ein Schwarz-Weiß-Foto ansehe, erkenne leicht, wo Probleme entstehen könnten. Weiße Streifen etwa können für Demenzpatienten zur Stolperfalle werden, weil sie darin eine Stufe sehen.
In vielen Heimen wird angepasst, ausprobiert, umgestaltet. Manche Patienten wollen einfach nur nach Hause. Manche Heime bauten Bushaltestellen auf, an denen Bewohner dann warteten – ohne dass je ein Bus hielt. Wer sie aber noch als solche erkenne, werde frustriert, sagt die Leiterin des beschützenden geschlossenen Bereichs, Laura Otto. Auch wurde Milchglas an der Stationstüre entfernt. „Jetzt sehen die Bewohner, was sich draußen bewegt“, sagt Susanne Krempl von der Münchenstift-Geschäftsführung. Das könne mehr Unruhe bringen. Aber: „Wir wollen so viel Freiheit wie möglich.“ Anstelle des Bushalts ist ein Kleintiergehege geplant. „Tiere sind wie Musik oft der Schlüssel zu dementen Menschen.“ Etwa die Congregatio Jesu in Neuburg an der Donau nahm kürzlich Alpakas als Therapietiere für demenzkranke Schwestern auf.
Neben der Gestaltung der Umgebung gebe es „ein ganz wichtiges Thema: den Pflegenotstand“, sagt Diehl-Schmid. „Bevor ich die Architektur anpasse, wünsche ich mir ausreichend viele, demenzversierte Pflegekräfte.“ Dietz sagt: „Wir brauchen beides, denn Architektur kann ganz konkret Pflege unterstützen und entlasten.“ Ihr Wunsch: Gemeinsame Forschungsansätze und einen fachübergreifenden Lehrstuhl.