Zur Studie des Bündnisses gegen (Cyber-)mobbing

Wenn der Chef mobbt

von Redaktion

von Nina C. Zimmermann

Herne/München – Eineinhalb Jahre Terror. So beschreibt Holger Wyrwa die Zeit, in der er von seiner Chefin gemobbt wurde. Sie wollte, dass er eine Kollegin ausbootet. Er weigerte sich. Dann durfte er plötzlich keine Briefe mehr selbstständig unterschreiben, musste Aufgaben unter seinen Fähigkeiten erledigen. „Sie wollte mich plattmachen“, sagt der Erziehungswissenschaftler und Psychotherapeut rückblickend. „Ich hatte keine Überlebenschance.“ Zunächst versuchte er, im Gespräch mit der Chefin eine Lösung zu finden – vergeblich. Auch das Personalbüro konnte nicht helfen. „Ich stand allein mit dem Rücken zur Wand.“ Kollegen duckten sich weg.

Wyrwa ist kein Einzelfall. Laut einer Umfrage vom Bündnis gegen Cybermobbing passiert jeder zweite Mobbing-Vorfall im Arbeitsumfeld. An knapp der Hälfte der Mobbing-Fälle im Job sind demnach Vorgesetzte beteiligt. Es geht dabei nicht um einmalige Ereignisse, sondern um ständig neue seelische Verletzungen. Laut Definition ereignen sich diese Kränkungen mindestens einmal in der Woche und ein halbes Jahr lang, erläutert die Diplom-Psychologin Bärbel Wardetzki aus München.

Mit verheerenden Folgen für den Mitarbeiter: Anfangs fühlt der sich in die Ecke gedrängt. Dann verliert er sein Selbstwertgefühl, seine Arbeitsqualität und -motivation leiden. Zum Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht gesellen sich womöglich Schlafstörungen, Depressionen oder eine posttraumatische Belastungsstörung. „Wichtig ist, dass der Betroffene registriert: Hier läuft etwas Entwertendes“, sagt Wardetzki.

Und was kommt nach dieser Einsicht? „Je früher ich mir Hilfe hole, umso schneller kann ich mit dieser Beratung erkennen, was ich anders machen könnte“, erklärt sie. Etwa: Missversteht der Chef etwas in meinem Verhalten und mobbt mich deshalb? Oft stecke hinter Bossing die Führungsschwäche eines Chefs, der Angst hat, vom Mitarbeiter überflügelt zu werden.

Ein Problem am Bossing ist das Machtgefälle zwischen Mobber und Gemobbten. Wardetzki sagt, der Betriebsrat oder das Personalbüro sind nicht immer hilfreiche Adressen. Auch rechtlich ist das Thema kaum greifbar. Betroffene sollten es außerhalb der Firma versuchen: bei einer Mobbingopfer-Hotline, die fast jede Krankenkasse hat, bei einem Coach, bei einer Gewerkschaft oder einem Arzt. Das ändert unterm Strich zwar nicht die berufliche Situation. Aber es trage dazu bei, nicht im passiven Leid zu bleiben, sagt die Psychologin.

Denn das sollten vom Boss Gemobbte auf keinen Fall tun: „Oft halten die Leute zu lange aus, sie versuchen, sich anzupassen, und haben kein Mut, wegzugehen“, sagt sie. Wyrwa rät zudem, dem mobbenden Chef gegenüber keine Emotionen zu zeigen, weil dieser sich sonst als Gewinner fühle. Besser lässt man sich krankschreiben, erholt sich und denkt in Ruhe nach. Ist eine Versetzung möglich? Oder bietet sich ein Arbeitswechsel an?

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