Paris – Für die einen sind die praktischen Tretroller mit E-Motor der Inbegriff moderner Bewegungsfreiheit, für andere ein gefährliches Ärgernis. Gestern hat der Bundesrat der Zulassung von E-Scooter in Deutschland zugestimmt. In Paris sorgen sie bereits seit geraumer Zeit für aberwitzige Slalomfahrten auf Gehwegen oder für konsternierte Blicke bei Senioren. Um die wachsende Anarchie bei den elektrischen Leih-Tretrollern einzudämmen, nehmen die Behörden nun die Anbieter stärker an die Kandare.
In der französischen Hauptstadt gibt es bereits rund 15 000 E-Scooter zum Leihen per Smartphone-App, bis zum Jahresende könnten es sogar 40 000 werden. Auch in München rechnet das Kreisverwaltungsreferat damit, dass bald 10 000 davon in der bayerischen Landeshauptstadt angeboten werden. In Paris sind die Flitzer vor allem bei Touristen und jungen Leuten sehr beliebt. „Das ist so einfach, das ist die Freiheit“, schwärmt etwa der Italo-Tunesier Josra Hadsch Dschabid, der die Roller täglich nutzt. „Schnell, unkompliziert und witzig“, stimmt nahe des Eiffelturms auch ein Touristenpaar aus Großbritannien in den Chor der E-Scooter-Fans ein. Zeitgleich surren dutzende Roller mit Parisbesuchern oder hastigen Hauptstadtbewohnern am Seineufer entlang.
Viele Pariser teilen diese Begeisterung allerdings ganz und gar nicht. Vor allem achtlos abgestellte oder zurückgelassene Mietroller sorgen für Ärger. „Wo ist das Pflichtgefühl“, klagt der 88-jährige Yves Goupil, der jeden Tag an dem Fluss spazieren geht. „Sie schmeißen die Roller sogar in die Seine!“
Benutzt wurden die Roller wiederholt sogar auch als behelfsmäßige Waffe im Zuge von Ausschreitungen bei den Protesten der „Gelbwesten“ gegen die Politik von Präsident Emmanuel Macron. Zudem seien die Roller „supergefährlich“, kritisiert die Stylistin Juliette. Tatsächlich ist es in Paris ungewöhnlich, einen E-Scooterfahrer mit Helm zu sehen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Ökobilanz der Roller. Laut einer US-Studie aus Kentucky beträgt die durchschnittliche Lebensdauer der Akku-Roller von Leihanbietern gerade einmal 28 Tage.
Um den E-Scooter-Wildwuchs in Paris zu beenden, unterzeichnete die Stadt am Montag einen Verhaltenskodex mit den Anbietern. Verleiher wie Lime, Bird und Tier verpflichten sich damit, das wilde Parken der Roller zu unterbinden. Die Stadt wiederum will 2500 Stellplätze zur Verfügung stellen. Außerdem sollen die Anbieter die Roller recyceln und mit grüner Energie ausstatten, um die Ökobilanz zu verbessern.
Wenn diese „Charta für gutes Fahren“ scheitere, sei die Stadt gezwungen, die Roller vorläufig zu verbieten, drohte der Beauftragte für Städtebau, Jean-Louis Missika. Anfang April hatte der Stadtrat ein Verbot der E-Scooter auf Gehwegen beschlossen. Bei Zuwiderhandeln droht künftig ein Bußgeld von 135 Euro, wildes Parken soll mit 35 Euro bestraft werden.
Ab Herbst will die französische Verkehrsministerin Elisabeth Borne zudem Roller verbieten, die schneller als 25 Stundenkilometer fahren. Helme sollen dann für unter Zwölfjährige Pflicht werden. Borne will damit nach eigenen Worten das „Gesetz des Dschungels“ beenden.
Angesichts des zu erwartenden E-Scooter-Booms in Deutschland warnen Unfallchirurgen vor einem hohen Verletzungsrisiko. „Im Stadtverkehr sind E-Scooter hochgefährlich – auch weil sich andere Verkehrsteilnehmer nur extrem schwer darauf einstellen können“, sagte Christopher Spering, Leiter der Sektion Prävention der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGU), der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
In der Klinik für Unfallchirurgie in Göttingen seien allein in den zurückliegenden vier Wochen zwei schwer verletzte E-Scooter-Fahrer behandelt worden, berichtete Spering. Beide hätten ein Schädel-Hirn-Trauma und Verrenkungsbrüche im Bereich der Sprunggelenke gehabt. „Die Trittbretter der Roller sind tief, sodass sich bei Stürzen der Fuß schnell darunter verfängt“, sagte der DGU-Experte. Er warnt, mit dem Roller sei man so schnell wie mit dem Fahrrad unterwegs, jedoch völlig ungeschützt, zumal es keine Helmpflicht geben werde.
Die Deutsche Bahn stellte am Freitag nach dem Bundesrat-Entscheid unterdessen klar: Ab sofort dürfen Fahrgäste der DB ihren E-Tretroller in allen Fernzügen kostenlos mitnehmen. Die Roller könnten zusammengeklappt über oder unter dem Sitz verstaut werden.