Campobasso – Unter den 20 italienischen Regionen ist Molise eine der kleinsten – und auch eine der unbekanntesten. „Molise gibt es nicht“, scherzt man in Italien manchmal über den rund 200 Kilometer südöstlich von Rom zwischen Adria und Apennin-Gebirge gelegenen Landstrich. Auf der fünffachen Fläche Berlins leben dort kaum mehr als 300 000 Menschen – und es werden immer weniger. Das muss aber nicht so bleiben, findet Regionalpräsident Donato Toma und will mit einem neuen Programm beweisen, dass Molise sehr wohl existiert.
Wer sich in Molise niederlässt, dem winkt bares Geld. „Wir zahlen 700 Euro pro Monat, und das drei Jahre lang“, sagt Toma der Deutschen Presse-Agentur in seinem Büro in der Regionalhauptstadt Campobasso, einer knapp 800 Meter hoch gelegenen Kleinstadt mit unter 50 000 Einwohnern. Der Neubürger muss aber in ein Dorf mit weniger als 2000 Einwohnern ziehen, und das für mindestens fünf Jahre. Er muss dort auch ein Unternehmen gründen oder ein Gebäude als Wohnhaus sanieren. Und er selbst muss aus einem Ort mit mehr als 2000 Seelen stammen. „Denn wir wollen ja keine anderen Dörfer leeren“, sagt der 61 Jahre alte Politiker der konservativen Partei Forza Italia.
Molise gehört zum Mezzogiorno, dem unterentwickelten Süden Italiens, der seit Jahrzehnten Einwohner verliert. Vor allem junge Leute ziehen auf der Suche nach Arbeit in die Ferne. Ob in Norditalien, in Deutschland, in Belgien, der Schweiz oder Amerika: Die Zahl der Menschen mit molisischem Migrationshintergrund in der Welt draußen übertrifft laut Toma die der Daheimgebliebenen um ein Vielfaches.
Warum also nach Molise kommen? „Hier ist es ruhig, es gibt keine organisierte Kriminalität. Wir haben das beste Wasser Italiens, klare Luft, wunderschöne Landschaften und viele freie Flächen“, sagt Toma. „Und man isst hier gut, und unser Wein ist ausgezeichnet.“ Wer den Umzug erwägt, kann aus einer Liste mit 106 Dörfern wählen, mit so klangvollen Namen wie Casalciprano, Oratino oder Pietrabbondante.
Wer in ein Dorf ziehen und dort etwas aufbauen will, kann sich noch bis zum 30. November bei der Regionalregierung in Campobasso bewerben (http://www3.regione.molise.it/) . Diese entscheidet dann, welche Projekte am meisten überzeugen. In der ersten Runde sollen 40 Bewerber zum Zuge kommen. Wenn es gut läuft, wird das Programm nach einem Jahr aufgestockt. Der Zuschuss wird in drei Jahresraten gezahlt. Toma versichert, dass das Ganze solide finanziert sei: Das Geld stamme aus den Abgaben, die die Erdgasförderer in Molise an den italienischen Staat zahlten.
Aber ist das Leben auf dem Dorf nicht etwas langweilig? Auf keinen Fall, sagt Roberto De Socio (47), Bürgermeister von Oratino (1682 Einwohner) und im Hauptberuf Arzt. Im Sommer seien es nur 45 Minuten bis zur Adria und im Winter 40 Minuten zum nächsten Skigebiet. Das auf einer Bergkuppe gelegene Dorf mit seinen engen Gassen, gepflegten Steinhäusern und dem ehemaligen Herzogspalast ist Mitglied der Vereinigung „I borghi più belli d’Italia“ (Die schönsten Dörfer Italiens), wie der Bürgermeister stolz erzählt.
Tagsüber wirkt Oratino recht tot, weil viele Menschen im nahen Campobasso arbeiten. Das Novemberwetter verdirbt die Aussicht vom Belvedere, einer Terrasse hoch über den Nachbartälern. Aber nebenan in der „BAR ZERO,4“ – benannt nach den 0,4-Liter-Biergläsern dort – ist Leben. Wirt Alessandro Mercurio (25) serviert Bier und Kaffee, den Espresso zu 80 Cent, das große Helle zu zwei Euro. KLAUS BLUME