Jakarta geht unter

von Redaktion

Zur Weltklimakonferenz: Das Wasser steigt – Indonesiens Hauptstadt muss umziehen

Jakarta – Wenn Irma Susanti ihrer Stadt beim Untergang zusehen will, muss sie nur hinaus vor die Tür. Drei Schritte, und die Frau im bunten Kleid steht an der Mauer aus Beton, die das Meer davon abhält, in ihre Wohnung zu schwappen. Inzwischen braucht Irma eine Leiter, wenn sie auf die Mauer hinauf will. Als sie vor ein paar Jahren hierher zog, nach Muara Baru, ein Armenviertel im Norden von Indonesiens Hauptstadt Jakarta, war der Schutzwall anderthalb Meter hoch. Jetzt misst er 2,30 Meter.

Aber auch das reicht nicht mehr. Wenn es stark regnet, flutet dunkelbraune, stinkige Brühe in ihr Haus. So geht es Hunderttausenden hier. Im Hafenbecken von Muara Baru und in anderen Vierteln entlang der Küste lässt sich erahnen, was die auf arg morastigen Boden stehende Mega-City irgendwann vielleicht überall erwartet. Heute schon liegen 20 Prozent Jakartas unter dem Meeresspiegel. 2050 werden es nach einer Prognose des Bandung Institute of Technology, kurz BIT, zwischen 35 und 40 Prozent sein.

Schneller sinkt wohl keine andere Großstadt auf der Welt, auch wenn Metropolen wie Bangkok ähnliche Probleme haben. Am schlimmsten betroffen sind die Küstenviertel in Jakartas Norden, wo die ärmeren Leute wohnen. Hier sackt der Boden pro Jahr um bis zu 20 Zentimeter ab. Das BIT glaubt, dass hier in 30 Jahren 95 Prozent der Flächen überschwemmt sein werden. So wie heute schon die Wall-Adhuna-Moschee, zehn Fußminuten entfernt von Irma. In dem Gotteshaus hat schon lange niemand mehr gebetet.

2005 hat man die Moschee dem Meer überlassen. Aufgegeben. Das war, noch bevor die Schutzmauer gebaut wurde. Jetzt ragt sie wie ein Mahnmal der Apokalypse aus dem Wasser. Das Dach ist halb eingestürzt. Die Wände sind schief, mit Schimmelpilzen übersät. Bis vor einer Weile saß auf der Kuppel noch eine Spitze mit Halbmond. Aber die ist irgendwie abhandengekommen.

Fast ein halbes Jahrtausend ist Indonesiens Hauptstadt an der Nordküste der Insel Java schon alt. Gründung war 1527. Von den Sultanen bekam die Siedlung den Namen Jayakarta („Großer Sieg“). Zwischenzeitlich nannten die niederländischen Kolonialherren die Stadt in Batavia um. Sie versuchten, auf dem sumpfigen Fundament ein tropisches Neu-Amsterdam zu bauen, mit einem dichten Geflecht aus Straßen und Kanälen. Viel ist davon nicht mehr übrig.

Aber warum versinkt Jakarta? Die „New York Times“ schrieb kürzlich, dafür gebe es einen „Tsunami von menschengemachten Gründen“. Natürlich hat der Klimawandel seinen Anteil. Der Meeresspiegel steigt auch hier, drei Millimeter pro Jahr. In Jakarta, sagt Stadtplaner Nirwana Joga, hätten die Leute die Gefahr überhaupt noch nicht verstanden.

20 Kilometer außerhalb der Stadt gibt es schon einige künstliche Inseln, wo Wasserflüchtlinge hinziehen könnten. Sie tragen Namen wie Kita (Wir), Masu (Fortschritt) und Bersama (Zusammen). Die meisten Wohnblocks sind aber noch genauso leer wie die Straßen. Dafür wurde ein Stadtrat zu zehn Jahren Haft verurteilt, weil er Schmiergeld angenommen hatte. Wie anderswo in Indonesien ist auch hier Korruption ein großes Problem.

Der neueste Plan ist aber noch um einiges gewaltiger: Das Land soll eine ganz neue Hauptstadt bekommen. Weg aus Jakarta. Weg von Java. 1200 Kilometer weiter. Nach Borneo, das die Indonesier Kalimantan nennen. Die neue Kapitale soll irgendwo auf halber Strecke zwischen den existierenden Großstädten Balikpapan und Samarinda entstehen, die außerhalb des Landes niemand kennt. Noch ist dort Dschungel.

Wie die neue Hauptstadt heißen soll, weiß auch noch niemand. Die Kosten für den Umzug werden auf mehr als 30 Milliarden Euro geschätzt. 2024 – im letzten Amtsjahr von Präsident Joko Widodo, der nicht mehr wiedergewählt werden kann – sollen die ersten Beamten ihre neuen Büros beziehen. Nun wird gespottet, dass die neue Kapitale den Namen Jokograd bekommen könnte.

Die Sorge vor dem Untergang spielt auch bei diesen Umzugsplänen eine Rolle. Nur, dass von den zehntausenden Beamten, die Jakarta wohl verlassen werden, kaum jemand in den armen Stadtvierteln entlang der Schutzmauer zu Hause ist. Davon, dass auch Slumbewohner nach Borneo umgesiedelt werden, ist keine Rede.

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