Chinesen unter Generalverdacht

von Redaktion

Nebenplatz in der Tram bleibt frei – Laut Chinas Botschaft mehr Anfeindungen gegen Landsleute

Köln/Rom – Er ist in Deutschland geboren. Er hat ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft. Er spricht akzentfrei Deutsch. Und dennoch hat er seit seiner Kindheit immer wieder das Gefühl, nicht richtig dazuzugehören. Weil Yen Souw Tain chinesische Wurzeln hat. Jetzt sorgt die Angst vor dem Coronavirus weltweit verstärkt für negative Emotionen – neue und alte. In Malaysia etwa fand eine Online-Petition für ein Einreiseverbot von Chinesen hunderttausende Unterstützer.

Am vergangenen Freitag wurde es Yen Souw Tain in Köln zuviel. „Da hab ich einfach mal meinen Frust rausgelassen“, sagt er. Er postete etwas auf Facebook. „Liebe Kunden und Asia Fans“, begann der 32-Jährige. Damit richtete er sich an diejenigen, die im Supermarkt für asiatische Spezialitäten seines Vaters in Köln einkaufen, in dem es gerade deutlich ruhiger ist als sonst. Er schilderte folgende Szene: Eine Frau kommt mit ihrer etwa zehn bis zwölf Jahre alten Tochter in den Supermarkt und fordert sie auf: „Zieh deinen Schal vors Gesicht!“ An der Kasse fragt das Mädchen die Mutter: „Sind denn alle Chinesen hier krank?“ Die Mutter antwortet nicht. Sie bezahlt schnell und hastet nach draußen. „Das fand ich schockierend“, sagt Tain. Die Mutter habe es so stehen gelassen. Für ihn eine Form von „Rassismus. Er kann verstehen, dass sich die Mutter Sorgen um die Gesundheit des Kindes macht. Aber er kann nicht verstehen, dass sie nicht gesagt hat: „Nein, natürlich nicht.“

Wegen der Ausbreitung des Virus wächst aus Sicht der chinesischen Botschaft in Berlin die Zahl der Anfeindungen gegen chinesische Bürger in Deutschland. „Die jüngsten Anfeindungsfälle und die fremdenfeindlichen Äußerungen in einzelnen Medien haben nach dem Coronavirus-Ausbruch zugenommen und sind besorgniserregend“, teilte die Botschaft mit. Man habe beim Auswärtigen Amt notwendige Maßnahmen gefordert, um „die Sicherheit, legitimen Rechte und die Würde der chinesischen Staatsbürger zu gewährleisten“. Wie die Berliner Polizei mitteilte, sollen zwei Frauen am Freitagnachmittag im Stadtteil Moabit eine Chinesin rassistisch beleidigt, bespuckt, an den Haaren zu Boden gerissen sowie geschlagen und getreten haben. Die 23-Jährige wurde am Kopf verletzt und ambulant in einem Krankenhaus behandelt, ihre Brille zerbrach. Die Angreiferinnen flüchteten.

In Italien hing vergangene Woche vor einer Bar am Trevi-Brunnen in Rom ein Schild, das Chinesen den Eintritt verbot. Die Zeitung „Il Messaggero“ berichtete, dass einige Mitarbeiter der Müllabfuhr in dem römischen Viertel, in dem viele Chinesen wohnen, nicht mehr sauber machen wollten. In Rom war Ende Januar bei einem Urlauberpaar aus China das Virus festgestellt worden. In Turin ging die Bürgermeisterin Chiara Appendino demonstrativ chinesisch essen, wie Medien schrieben. Sie warnte vor „Rassismus“. Zuvor hatte es einen Vorfall in einem Bus gegeben. Mitreisende sollen eine junge Chinesin, die kein Italienisch sprach, als „unerwünschte Person“ angegangen sein. Vier Regionen haben das Gesundheitsministerium gebeten, dass alle aus China zurückkehrenden Kinder zwei Wochen nicht zur Schule gehen sollen.

In Köln hofft Yen Souw Tain unterdessen, dass die Seuche bald abklingen wird. Damit niemand mehr stirbt. Und auch, damit asiatisch aussehende Menschen nicht mehr gemieden werden. Seine Mutter, erzählt er, saß in einer vollen Straßenbahn – aber der Platz neben ihr blieb frei. Sie versuchte, es mit Humor zu nehmen: „Ich hatte jetzt endlich mal viel Platz.“

So geht es auch Menschen in Berlin. Einige Taxifahrer erzählen ihren Fahrgästen, dass sie keine Asiaten mehr mitnehmen wollen. Unter dem Hashtag #JeNeSuisPasUnVirus (auf Deutsch: Ich bin kein Virus) berichten Menschen asiatischer Herkunft seit einigen Tagen von ihren Erfahrungen mit Rassismus im Alltag seit dem Aufkommen des Virus. Von Leuten, die im Restaurant nicht erwünscht waren, ist dort zum Beispiel die Rede.

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