Berlin – Ein junger Puma streift durch Chiles Hauptstadt Santiago, Wildschweine gehen auf den Luxus-Avenues in Barcelona spazieren, Seelöwen schlummern im argentinischen Mar del Plata neben Lastwagen. Es scheint eindeutig: Die Ausgangssperren wirken sich auf das Verhalten von Tieren aus. Davor lebten sie in Wäldern, ländlichen Gebieten oder direkt am Wasser, jetzt erobern sie die leeren Städte.
Experten in Spanien glauben dabei nicht an Zufälle: Die Umwelt sei deutlich sauberer, es gebe auch viel weniger Verkehr, sagen sie. Und das habe „einen Balsameffekt für die Tierwelt“, erklärt Roberto Hartasánchez von der Stiftung zum Schutz von Wildtieren (Fapas). Ángel Sánchez vom Ehrenamtlichen Verband für die Zählung des Iberischen Wolfs zählt mehrere Berichte auf, wonach sich dieses Raubtier zuletzt verstärkt in bewohnte Gebiete vorgewagt habe: „Wir erwarten, dass die Wölfe bei der Fortpflanzung mehr Erfolg haben werden, weil sie nun weniger Störungen ausgesetzt sind.“
Im andalusischen Almería hofft auch Emilio González von der Umweltschutzorganisation Serbal, dass die neue Situation einigen der vom Aussterben bedrohten oder der stark gefährdeten Arten – etwa dem Habichtsadler oder der Europäischen Wildkatze – dabei hilft, sich wieder besser vermehren zu können.
„Auf dem Land sehen wir derzeit bei Raubvögeln, bei Mardern, ganz allgemein bei Raubtieren und Pflanzenfressern mehr Pärchen als früher“, erzählt unterdessen der Präsident der Organisation zur Rehabilitation der Heimischen Fauna (Grefa), Ernesto Álvarez. Der Experte stellt fest, dass aufgrund der Ausgangssperre „alles verschwunden ist – die vielen Wanderer und Radfahrer, die Sportler, die trainieren, die sind alle plötzlich nicht mehr da“. In der Region um Madrid gebe es zum Beispiel „fünf oder sechs Pärchen von Habichtsadlern, die deshalb viel bessere Aussichten haben“.
Solche Phänomene zeigen sich weltweit. Auch in Wales, in Südamerika und in Asien werden Tiere, die sich sonst nur äußerst selten in die von Menschen bewohnten Räume wagen, immer mutiger. Im Tel Aviver Stadtpark Hajarkon etwa lebten schon vor der Corona-Krise zehn Schakal-Familien. Doch seit auch in Israel weitgehende Ausgangsbeschränkungen gelten, zeigten sich die Tiere vermehrt nun auch auf Parkwegen. Auf den leeren Straßen der Hauptstädte Indiens und Nepals, wo normalerweise Millionen Menschen unterwegs sind, tummeln sich derweil besonders viele Affen und Hunde.
Im Seebad Llandudno zogen wilde Kaschmir-Ziegen durch die fast menschleeren Straßen. Die Tiere kamen jüngst von einem kleinen Berg im Norden von Wales herunter und laufen seitdem immer wieder durch den Ort. Ihre Lieblingsspeise: Hecken. Manche Einwohner nennen die Ziegen „Vandalen“, da sie unter anderem neu gepflanzte Bäume vor einer Schule vernichtet haben sollen.
In Mailand sorgten Schwäne im „Navigli“, einem Kanalsystem, für viel Aufsehen. In Bogotá wurden Füchse gesichtet, in San Francisco Kojoten, und im japanischen Nara eine ganze Hirschherde, die aus einem Park ausgebrochen war.
Allerdings ist es auch so: Wo weniger Menschen unterwegs sind, gibt es logischerweise auch weniger Essensreste – die aber für einige Tiere lebensnotwendig sind. In der thailändischen Provinz Lop Buri wurden zum Beispiel Affen gefilmt, die sich besonders heftig um Essensreste stritten.
EMILIO RAPPOLD