Berlin – Kollege Meier sieht wieder aus, als habe er die halbe Nacht nicht geschlafen, und dass Kollegin Schmitz befördert worden ist, ist ja wohl wirklich ein Ding: Beides Beispiele für den typischen Klatsch und Tratsch in der Kaffeeküche des Büros, den Flurfunk. Doch in der Corona-Pandemie arbeiten sehr viele Leute von zu Hause aus und das zum Teil zufällige Zusammenkommen auf dem Flur oder zum Mittagessen fällt aus. „Es sind finstere Zeiten für den klassischen Flurfunk“, sagt die Medienwissenschaftlerin Brigitte Weingart von der Berliner Universität der Künste, die sich in ihrer Forschung mit Klatsch und Gerüchten auseinandersetzt.
Auch vor oder nach Meetings oder Konferenzen kämen Kollegen nicht mehr zum Quatschen – und alles lasse sich mit E-Mails oder Chatprogrammen nicht kompensieren, sagt Weingart.
Hinzu komme, dass auf digitalen Wegen „sicherlich“ nicht so gequatscht werde wie sonst, sagt Tim Hagemann, Arbeitspsychologe von der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld. „Ich glaube, dass Leute Sorge haben, hier Gespräche wie in der Kaffeeküche zu führen, weil sie Angst haben, dass jemand mitliest.“ Am ehesten funktioniere noch das Telefon. „Der Mensch ist ein soziales Tier und hat das Bedürfnis nach Klatsch und Tratsch“, sagt auch der Arbeitspsychologe Michael Kastner vom Institut für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin in Herdecke. Dies liege daran, dass für uns Menschen andere Menschen immer am interessantesten sind und „wir aus Erfahrungen und Schicksalen von anderen auch persönlich etwas ziehen können“, sagt Kastner.
„Entgegen dem schlechten Ruf von Klatsch und Tratsch ist er sozialer Klebstoff, durch den das Team enger zusammenwächst“, sagt Weingart. Durch den Tratsch würden – sofern er nicht zu sozialer Ausgrenzung führt – wichtige Funktionen erfüllt. Zum einen setze das Indiskretwerden Vertrauen zum Gesprächspartner voraus, und gleichzeitig werde Vertrauen zwischen den Tratschenden hergestellt.
Kastner geht davon aus, dass das andauernde Zu-Hause-Arbeiten in der Corona-Krise langfristige Folgen habe. „Psychische Beeinträchtigungen werden nach Corona nach oben gehen.“ Hagemann sagt, es sei eine Frage der Zeit. „Wenn wir ehrlich sind, wissen wir nicht, wie lange das dauert.“ Wenn das noch zwei, drei Jahre so weitergehe, seien sicherlich vermehrte Bemühungen nötig. Der fehlende informelle Austausch in dieser außergewöhnlichen Situation lasse sich nicht auffangen. Auch wenn es schwerfalle – er ruft dazu auf, Leute bewusst zum informellen Austausch anzurufen. „Man braucht das und sollte es ganz bewusst machen und quatschen. Das ist wichtig, man braucht Vertrauen, wenn man im Team zusammenarbeitet.“ dpa