Ein Verdächtiger, kein Geständnis, keine Leiche

von Redaktion

Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Maddie tot ist– Christian B. ist mehrfach vorbestraft

Braunschweig/Wiesbaden – Hat ein 43 Jahre alter Deutscher vor rund 13 Jahren das britische Mädchen Madeleine „Maddie“ McCann ermordet? Es gibt zumindest Spuren, die auf den wegen Sexualstraftaten vorbestraften und in Deutschland inhaftierten Mann hinweisen. Bewiesen ist nichts. Aber die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt wegen Mordverdachts gegen den Mann. Er lebte im Zeitraum des Verschwindens an der portugiesischen Algarve. Die Ermittler hoffen nun auf Hinweise aus der Bevölkerung. „Wir gehen davon aus, dass das Mädchen tot ist“, sagte der Sprecher der Behörde, Hans Christian Wolters, gestern in Braunschweig. Dort war der Verdächtige zuletzt gemeldet.

Maddie verschwand am 3. Mai 2007 aus einer Appartementanlage im portugiesischen Praia da Luz. Die Eltern waren zu der Zeit in einem nahe gelegenen Restaurant essen. Die Ermittler waren von einer Entführung ausgegangen. Zeitweise standen auch die Eltern selbst unter Verdacht.

Nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) lebte der Beschuldigte zwischen 1995 und 2007 regelmäßig an der Algarve unter anderem einige Jahre in einem Haus zwischen Lagos und Praia da Luz.

Nach Informationen der „Braunschweiger Zeitung“ soll es sich bei dem Beschuldigten um Christian B. handeln, der Ende 2019 vom Landgericht Braunschweig wegen Vergewaltigung einer damals 72-jährigen Amerikanerin im Jahr 2005 in Praia da Luz zu sieben Jahren Haft verurteilt worden sei. Das Urteil sei noch nicht rechtskräftig. Der Angeklagte werfe der Justiz Rechtsfehler im Auslieferungsverfahren vor. Deshalb ist der Bundesgerichtshof (BGH) mit dem Fall beschäftigt.

Derzeit sitzt der Mann in Kiel eine alte Haftstrafe ab, die das Amtsgericht Niebüll bereits 2011 gegen ihn verhängt hatte. Dabei ging es um Handel mit Betäubungsmitteln. Parallel ist wegen der Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn Untersuchungshaft angeordnet. Von der BGH-Entscheidung wäre mit abhängig, ob diese U-Haft Bestand hat und damit nahtlos die verbüßte Haftstrafe ablöst. Weil es bei der Revision rechtlich um die Vollstreckung eines europäischen Haftbefehls geht, hat der BGH das Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Rechnerisch hätte der Mann am 7. Juni zwei Drittel seiner Haft verbüßt. Ein Gericht müsste entscheiden, ob er weiter im Gefängnis bleibt. Aufgrund dieses Termins hatte der BGH den EuGH um eine Entscheidung im Eilverfahren gebeten.

Der „Spiegel“ berichtete am Donnerstag darüber hinaus, dass das Strafregister des Beschuldigten in Deutschland 17 Einträge enthält. Unter anderem wurde er 1994 im bayerischen Würzburg und 2013 in Braunschweig wegen des Besitzes von Kinderpornografie und Sexualdelikten an Kindern verurteilt.

Auf die Spur des nun Verdächtigen kamen die Ermittler nach eigenen Angaben durch einen Hinweis nach der ZDF-Sendung zum Fall im Oktober 2013. „Die damaligen Informationen reichten nicht für Ermittlungen aus und schon gar nicht für eine Festnahme“, sagte BKA-Ermittler Christian Hoppe in der Sendung. „Und die Informationen, die wir im Rahmen unserer Ermittlungen gewinnen können, führen uns immer mehr zu der Überzeugung, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um den Täter handeln könnte“, fügte der leitende Kriminaldirektor beim BKA hinzu. Bei der Behörde wurde ein Hinweisportal eingerichtet und für Hinweise zur Aufklärung der Tat eine Belohnung von 10 000 Euro ausgesetzt.

Die „Braunschweiger Zeitung“ schreibt mit Blick auf den Gerichtsprozess, dass der in einem schlichten grauen Shirt und etwas zu großer Jeans gekleidete Mann intelligent gewirkt habe. Deutsche Zeugen aus portugiesischer Zeit hätten ihn als Glücksritter beschrieben, „der versucht hat, was auszustrahlen, aber auch nicht auf großen Zampano gemacht hat“.

Eine frühere Nachbarin aus Portugal beschrieb den Verdächtigen als aggressiv. „Er war immer ein bisschen wütend, ist die Straße schnell hoch und runter gefahren und eines Tages, so um 2006, verschwand er ohne ein Wort“, berichtete die Frau dem britischen Sender Sky News. Etwa ein halbes Jahr nach dem Verschwinden des Mannes sei sie gebeten worden, beim Aufräumen der Unterkunft zu helfen, berichtete die Frau. „Es war eklig.“ Überall hätten beschädigte Sachen wie Computer gelegen. In einem Müllbeutel seien Perücken und seltsame Kleidungsstücke – möglicherweise für Kostümierungen – gewesen. Wie Scotland Yard am Mittwochabend mitteilte, trug der Mann zur Tatzeit kurzes, blondes Haar und ist etwa 1,80 Meter groß.

Madeleines Eltern hatten sich mit teils emotionalen Aufrufen immer wieder an die Öffentlichkeit gewandt, um Informationen über den Verbleib ihrer Tochter zu erhalten. „Alles, was wir je wollten, ist sie zu finden, die Wahrheit ans Licht zu bringen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen“, heißt es in einem Statement der Eltern in der Scotland-Yard-Mitteilung. Weiter werden sie sich nicht zu dem Verdächtigen aus Deutschland äußern. „Sie wollen, dass sich nun alles auf die Ermittlungen konzentriert“, sagte ihr Pressesprecher Clarence Mitchell gestern.

In Portugal wurden die Nachrichten aus Deutschland mit Hoffnung auf eine baldige Aufklärung des Falles, aber auch mit viel Skepsis aufgenommen. „Ohne die Leiche der kleinen Maddie und ohne Geständnis wird es wahrscheinlich sehr schwer sein, in einem Prozess die nötigen Beweise zu erbringen“, sagte die erfahrene Anwältin Sofía Matos im portugiesischen Fernsehen.  afp, dpa

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