99 Prozent weniger Ausländer in Roms Hotels

von Redaktion

Rom – Morgens um halb zehn öffnet ein Mitarbeiter die Metalltore der Touristeninformation am Kolosseum. Die Sonne scheint – geniales Wetter für eine Erkundungstour durch antike Stätten in Rom, zu Brunnen und Treppen im Zentrum der italienischen Hauptstadt. Doch der Platz vor dem Info-Büro ist fast leer. Genau wie die Straße, die zum Amphitheater der alten Römer führt. „Rom ist derzeit wunderbar – wunderbar leer“, sagt Oliver Kraushaar. Der Berliner Schauspieler ist einer der wenigen Urlauber, die in der Stadt mit 2,8 Millionen Einwohnern unterwegs sind.

Allein im Juni wurden nur 6300 Ankünfte von Ausländern in Hotels und Pensionen registriert. Etwa ein Viertel der Reisenden kam aus Deutschland. Genau ein Jahr zuvor hatten gut 773 000 internationale Gäste in Rom übernachtet – ein Rückgang von 99 Prozent.

Italien hat die Grenzen für Bürger zahlreicher europäischer Staaten seit 3. Juni wieder geöffnet. Das Land verzeichnet bisher durch die Pandemie mehr als 35 000 Tote – allerdings liegt der Schwerpunkt der Virusinfektionen in einigen Regionen im Norden. Doch auch im Süden herrscht seit Wochen gähnende Leere. Das Zeitalter des Massentourismus, das 2019 fast 20 Millionen Gäste anzog, scheint Lichtjahre entfernt.

Schauspieler Kraushaar, Sonnenbrille im Haar, den Rucksack umgehängt, ist mit seiner Frau, dem neunjährigen Sohn und der sechsjährigen Tochter angereist. „Die Hotels sind gerade viel günstiger als normal“, freut sich der Darsteller vom Berliner Ensemble, der auch schon im „Tatort“ mitgespielt hat. Diese Phase sei eine Chance. Sie könnten mit den Kindern eintauchen in Kunst und Geschichte: Im Vatikan seien sie gewesen, Karten für das archäologische Tempelareal, das Forum Romanum, seien vorbestellt. „Natürlich achten wir auf Corona-Schutz“, sagt Kraushaar.

Die Berliner Familie ist ein typisches Beispiel für die neuen Rom-Touristen: Man sieht Familien mit Kindern, darunter viele Italiener. Junge Leute, Entdeckertypen in kleinen Gruppen, überqueren den beliebten Treffpunkt Campo de’ Fiori. Verschwunden sind indes die Bustouristen, Seniorengruppen mit Reiseführer – sowie ein Großteil der zahlungskräftigen Asiaten und Amerikaner.

Die Heftigkeit, mit der Italien von der Virus-Welle getroffen wurde, steckt tief in den Köpfen von Reisewilligen. Deutsche zieht es an die eigenen Küsten – oder nach Bayern. „Das ist ein psychologisches Problem“, heißt es in der Stadtverwaltung. Obwohl die Gesundheitslage in Rom nie kritisch war und die Infektionszahlen in dem Mittelmeerland insgesamt Mitte Juli oft unter den deutschen liegen, springt der Tourismus nicht an. Für Chinesen, Japaner, Amerikaner und viele andere gilt ohnehin weiter eine zweiwöchige Quarantäne.

Die Piazza Navona ist von Restaurants und Bars eingefasst. Ein Großteil hat sich auf Ausländer fokussiert. Lieblose Touristen-Menüs in manchen Lokalen schrecken Römer ab. Jetzt stehen Kellner wartend vor leeren Tischen, die Hände auf dem Rücken oder am Handy. „Es ist eine Katastrophe“, sagt Marco, der im kleinen „La Locanda Romana“ in einer Seitenstraße kellnert. „Die Piazza ist leer. Es kommen keine Ausländer. Wir wissen nicht, was wir tun sollen.“

Erste Wirte an dem von barocker Baukunst geprägten Platz richten ihr Angebot neu aus: Sie wollen für die Ortsansässigen interessant werden. „Wir bieten einen Spritz für 3,50 Euro mit einem Mini-Hamburger für 6 Euro“, sagt Filippo De Sanctis vom Traditionslokal „Camillo“. Im Netz wirbt das Familienrestaurant mit dem Motto „Piazza Navona für die Römer“.

Das alte Rom brauche eine Strategie für einen neuen „Qualitätstourismus“, sagt Bürgermeisterin Virginia Raggi von der Fünf-Sterne-Bewegung. Allerdings wissen die Stadtoberen, dass Familien wie die des Schauspielers Kraushaar und Inlandstouristen alleine die Krise nicht stoppen werden – dafür dürften viel italienische Fantasie und neue Ideen nötig sein.

Immerhin gibt es von den Küsten gute Nachrichten: Nach dem Corona-Lockdown zeigen sie eine deutlich bessere Wasserqualität, heißt es in einer Untersuchung des italienischen Umweltministeriums. Durchgängig habe die Sichttiefe zugenommen – vor Ligurien etwa von zehn auf 15 Meter. Zugleich ging rings um die Halbinsel der Nährstoffgehalt aus Düngemitteln zurück, der für ein überhöhtes Pflanzenwachstum im Meer verantwortlich ist. Ein schöner Trost in einer teils trostlosen Zeit.  dpa

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