Nerezine – In den Köpfen der Bewohner der Insel Losinj sitzt die Angst vor der Zukunft. Martina vom kleinen Hafenhotel und Bäcker Pjeter überlegen täglich neu, wie sie sich und ihre Mitarbeiter über den kommenden Winter bringen. Den rund 300 Menschen im Ort, 80 Prozent leben vom Tourismus, zogen die erneuten Reisewarnungen in den Nachbarländern Kroatiens ein zweites Mal den Boden unter den Füßen weg. Erst der Lockdown von März bis Mai, danach lief die Saison schleppend an. Ernstzunehmende Erträge gab es erst ab Juli. Jetzt prasseln durch die Reisewarnungen in Österreich, Italien, Slowenien und anderen Ländern täglich statt Buchungen Stornos herein. Auch von deutschen Touristen, die Angst haben.
Angst vor dem Virus, das die Insel nicht heimsuchte und Angst, auch Deutschland könnte eine Reisewarnung aussprechen, die nicht nur die Hotspots in Kroatien, sondern das gesamte Land einschließlich der Inseln betrifft. Doch eine Reisewarnung Deutschlands für ganz Kroatien gibt es nicht, sie existiert lediglich in den Köpfen.
„Auf der Insel gibt es keine Infizierten“, sagt Bäcker Pjeter Kajtazi (40), die Reisewarnung der Nachbarländer für gesamt Kroatien kann er nicht nachvollziehen. Seine kleine Bäckerei eröffnete er 2007. Der kleine Betrieb ernährt ihn, seine Familie, den Bruder mit Frau und Kindern und die beiden Verkäuferinnen Ivana und Rea. Die Erträge aus den Sommermonaten müssen für den Winter reichen. „Ich weiß nicht, wie das in diesem Jahr funktionieren soll, wir haben jetzt schon Umsatzeinbußen zwischen 30 und 40 Prozent.“ Obwohl Nerezines Familien, neben dem Angebot im Minimarkt, auch seine Backwaren kaufen, merkt Pjetar beim Zählen des Tagesumsatzes, dass die Touristen fehlen.
Der kleine Ort Nerezine schmiegt sich vom Hafen hinauf bis an den Berg Osorcica. Wenige Menschen arbeiten hier frühmorgens schon, die Männer der Müllabfuhr, der Metzger und Pjeter. Stunden schon formt er Laibe aus weißem und vielkörnigem Mehl. Punkt sechs Uhr sperrte er wie jeden Tag die Ladentüre auf, davor warten Einheimische mit Maske. Einer nach dem anderen tritt ein, die Regale sind mit hellen und dunklen Semmeln und unterschiedlichen Brotsorten gefüllt, zartbraun gebackene Hörnchen mit Feigenmarmelade und andere Leckereien der Insel locken durch die Glasfront der Theke. „Molimo drite razmak“ – bitte Abstand halten! An der Eingangstür erinnern drei Hinweise an die Hygienevorschriften – das Stoppschild in Rot erlaubt den Eintritt nur einzeln, ein blauer Aufkleber gibt den Abstand vor, ein bunter Zettel verlangt Mund-Nasenschutz. „Wir alle hier halten uns daran, auch die Touristen, sagt Pjetar auf Kroatisch, Tochter Gabrijela (16) übersetzt ins Englische.
Von der Bäckerei führt ein schmaler Weg zwischen Eisdiele und Fischstand hinauf zum Marktplatz, darüber thront die Kirche. 87,83 Prozent der kroatischen Gesamtbevölkerung sind katholisch, in Nerezine wird täglich Messe gelesen. Die Einwohner beten für Buchungen, die Geld bringen, weil es alle betrifft. Vom Gotteshaus führt der Weg hinab zur Werft. Der Wind bläst erst im Herbst kräftig, derzeit schwebt Ungewissheit über Werft und Hafen, ob in diesem Jahr mit dem Wind auch die Segler kommen. Auf die Segler und vor allem auf die Touristen, die mit Flugzeug, Zug und Bus oder mit dem eigenen Auto kommen, wartet auch Martina Pütz (62). Die gebürtige Kölnerin leitet nach dem Tod ihres Mannes 2013 das kleine Hafenhotel Televrin „Schon während des Lockdowns stellte ich mir die Frage, ob es überhaupt Sinn macht, das Haus in diesem Jahr zu öffnen“, sagt Martina. Doch sie wollte die Arbeitsplätze erhalten, sie fühlt sich für ihre elf Mitarbeiter verantwortlich. Marta, Zdenka, Brigitta, Miro und Dragan sind seit Eröffnung des Hotels vor 16 Jahren mit im Team. „Das sind Menschen, die mir alle ganz nah ans Herz gewachsen sind, wie Freunde“, sagt Martina. Noch gibt sie nicht auf, hofft auf Buchungen, schreibt Newsletter an die Stammkunden und teilt über Facebook allen Hotelfans mit, dass die Lage auf Loinj sicher, die Grenzen frei, das Meer angenehm warm und die Luft rein und sauber ist. Petjar hofft mit Martina, dass mutige Menschen doch noch kommen. „Spätsommer und Herbst sind besonders schön, die Sonne taucht die Insel in goldenes Licht“, sagt Martina.
Was die Insulaner bedrückt: Dass der kleine Hafenort Nerezine als Urlaubsziel sterben könnte – wie viele der anderen kleinen Orte auf dieser und anderen kroatischen Inseln.