Italienische Krawallnächte

von Redaktion

Extremisten und die Mafia instrumentalisieren den sozialen Unmut in Italien

Neapel/Rom – Es war das befürchtete Szenario für den Fall erneuter Schließungen und zunehmenden sozialen Schwierigkeiten in Italien: Krawalle, gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Bevölkerung und Polizei. Am Freitag und Samstag war es in Neapel und Rom zu entsprechenden Szenen gekommen. Den Anfang machte Neapel am Freitag. Da hatte der Gouverneur der Region Kampanien Vincenzo De Luca nachmittags im Hinblick auf die Pandemie pauschal und voreilig „die Schließung von allem“ per Videobotschaft angekündigt.

Am Abend zogen zwei Demonstrationszüge, auf denen gegen vorzeitige Schließung von Bars und Restaurants protestiert wurde, mit etwa 1200 Personen zum Sitz der Regionalregierung in Neapel. Ihr Ansinnen war nach Angaben der Behörden weitgehend friedlich. Was anschließend passierte, beschäftigt nun die Staatsanwaltschaft. Bis zu 300 vor allem jüngere Männer fuhren mit Motorrollern gezielt in Richtung Innenstadt und mischten sich unter die Demonstranten. Es dauerte nicht lange, bis sie Steine, Flaschen, Stöcke und Feuerwerkskörper in Richtung der Polizisten warfen und Mülltonnen in Brand setzten. Die Krawallmacher skandierten den Ruf „Libertà!“ (Freiheit). Zwei 32 Jahre alte Männer, die wegen Drogendelikten vorbestraft waren, wurden festgenommen. Etwa 20 Polizisten trugen Verletzungen davon.

Wie italienische Medien berichten, setzten sich die herbeigeeilten Randalierer aus Fußball-Ultras, Linksextremisten, Rechtsextremisten sowie der Camorra zusammen. Der Vorsitzende der Antimafiakommission im Parlament, Nicola Morra, sprach von einer „Regie“ im Hintergrund. Unter den Randalierern seien die Mitglieder mehrerer Mafia-Clans aus Neapel gewesen. Innenministerin Luciana Lamorgese verurteilte die „inakzeptable und vorherbestimmte Gewalt“.

Erstmals hat sich in Italien realisiert, was die Behörden seit Monaten befürchten. Die zweite Welle der Pandemie ist angerollt, nervliche und soziale Anspannung der Bevölkerung nehmen immer mehr zu, viele Familien sind in ernsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Extremisten und Kriminalität versuchen diese Situation nun für sich auszunutzen. „Es wird wieder passieren“, sagte der stellvertretende Innenminister Matteo Mauri dem „Corriere della Sera“. „Und nicht nur in Neapel. Wir sind in einer komplizierten Phase.“

Am Samstagabend hatten sich auch in Rom auf der Piazza del Popolo Demonstranten versammelt. Die neofaschistische Partei Forza Nuova hatte dort zum nicht genehmigten Protest gegen die „Gesundheitsdiktatur und die Ausgangsperre“ aufgerufen, 200 rechtsradikale Randalierer lieferten sich Schlägereien mit der Polizei, steckten Mülltonnen in Brand und beschädigten Autos. Zehn Personen wurden festgenommen. Angesichts der Verschärfung der epidemiologischen sowie der sozialen Lage befürchten die Verantwortlichen im Innenministerium eine Verschlimmerung der Situation in den kommenden Wochen.

Am Samstag war die Rekordzahl von 19 644 Ansteckungen registriert worden. Am Sonntag verfügte die Regierung von Giuseppe Conte die vorzeitige Schließung von Restaurants und Bars ab 18 Uhr. Für die Oberschulen soll der Unterricht zu 75 Prozent online stattfinden. In den Fokus gerät in Italien zunehmend die Art der oft drastischen Kommunikation von Politik, Behörden und Medien. Kampaniens Gouverneur De Luca, der wegen seiner martialischen Art auch „Sheriff“ genannt wird, hatte am Freitag einen kompletten „Lockdown für ganz Italien“ gefordert und auf einer Pressekonferenz das Szenario von Leichentransporten in Militärfahrzeugen wie im März in Bergamo heraufbeschworen. JULIUS MÜLLER-MEININGEN

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