Hamburg/München – Söder beim Tennis, Hofreiter in der Küche oder Wagenknecht beim Fahrradfahren: Der „Spiegel“-Reporter Marc Hujer hat elf deutsche Spitzenpolitiker bei ihrer privaten Leidenschaft begleitet. Im Interview erzählt er, was seine Beobachtungen verraten – und was ihn überrascht hat.
Herr Hujer, mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder waren sie Tennis spielen. Was haben Sie dabei über ihn gelernt?
Söder fragt sich die ganze Zeit: Was macht mein Gegenüber jetzt mit diesem oder jenem Bild, das ich hier gerade von mir zeige. Er inszeniert sich also in einem ganz großen Maße. Gleichzeitig hat er sich auf dem Tennisplatz so präsentiert, wie er sich auch als Politiker gibt: geradlinig, präsent, überlegen.
Erkennen Sie im Corona-Krisenmanager Söder auch den Tennisspieler Söder wieder?
Absolut. Die Entschlossenheit, mit der er in der Corona-Krise auftritt, auch die teilweise Rücksichtslosigkeit gegenüber politischen Mitkonkurrenten – das entspricht auch seinem Auftreten auf dem Tennisplatz. Söder beherrscht dieses Spiel natürlich sehr gut.
Sie haben verschiedene Spitzenpolitiker bei ihren Hobbys erlebt und beobachtet. Was haben alle gemeinsam?
Einen gewissen Mut. Sie haben sich alle bei etwas beobachten lassen, das sie als Politiker normalerweise nicht tun. Damit lässt man zumindest die Gefahr zu, in einen falschen Zusammenhang gesetzt zu werden. Und nicht alle sind so um Kontrolle bemüht wie etwa Söder. Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht oder Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt haben sich viel mehr auf die Situation eingelassen – Wagenknecht beim Fahrradfahren, Göring-Eckardt beim Tanzen.
Politiker privat erleben – das klingt erst mal spannend. Aber durch die Anwesenheit eines Journalisten wird ja doch wieder alles zur Inszenierung. Oder?
Klar. Da zeigt sich natürlich kein Politiker komplett privat. Aber das ist auch gar nicht mein Anliegen. Ich wollte Politiker aus ihrer bekannten Rolle herausnehmen, indem sie sich bei ihrer Leidenschaft zeigen. In deren Repertoire für die Öffentlichkeit ist das eigentlich nicht vorgesehen.
Mit Anton Hofreiter, dem Grünen-Fraktionschef im Bundestag, waren sie wandern und selbst Pralinen machen. Was haben Sie dabei über ihn gelernt?
Einerseits hat er mir beim Wandern jedes Grasbüschel gezeigt und dessen Evolution erklärt. Andererseits ist er schnurstracks in jedes Gasthaus marschiert, das am Weg lag. Hier eine Limonade, dort ein Eisbecher. Damit hätte ich nicht gerechnet.
Wenn man liest, wie Hofreiter durch den Supermarkt tingelt, um Pralinen-Zutaten zu kaufen, könnte man denken: Ein ganz gewöhnlicher Spießer.
(lacht) Wenn Spießertum heißt, dass man zufrieden zu Hause sitzt und sich den angenehmen Dingen des Lebens widmet, würde ich zustimmen. Hofreiter entspricht kaum dem Klischee des moralisch überlegenen Grünen. Das ist eher ein Genießer-Typ ohne schlechtes Gewissen, der gerne kocht und isst.
Söder und Hofreiter sind Männer aus Bayern – mehr Gemeinsamkeiten fallen einem auf Anhieb nicht ein. Oder doch?
Nein, unterschiedlicher kann man kaum sein. Übrigens auch, was die Rollen als männlicher Politiker angeht. Söder verkörpert einen breitbeinigen Typus, von dem man fast dachte, dass es ihn seit Gerhard Schröder nicht mehr gibt. Hofreiter trinkt Kamillentee in der Mittagssonne. Und er kann öffentlich Schwächen zugeben – bei Söder kaum vorstellbar.
FDP-Chef Christian Lindner hat Sie zum Rumfahren mit seinem Porsche eingeladen. In ihrem Porträt beschreiben Sie, wie er ständig erklärt, was gerade passiert, warum er dieses Auto überholt und jenes nicht. Ist Lindner ein unsicherer Mensch?
Er wirkt absolut selbstsicher, aber das will ja nichts heißen. Einerseits ist er unfassbar schnell und klug. Andererseits ist er mit seiner Art immer wieder an Grenzen gestoßen. Deshalb will er oft eine Interpretationshilfe mitliefern – und erklären, was er gerade macht und warum. Daraus kann man schon zumindest auf eine gewisse Unsicherheit im Umgang mit der Öffentlichkeit schließen.
Mit Altbundeskanzler Gerhard Schröder und dessen neuer Frau waren sie Golf spielen. Hatten Sie das Gefühl, dass er mit sich im Reinen ist? Oder nagt die teils heftige Kritik aus der eigenen Partei – Stichwort Putin-Freundschaft – an ihm?
Ich glaube schon, dass das an ihm nagt. Sonst würde er sich nicht immer wieder derart an der SPD abarbeiten. Schröder hat das Gefühl, nicht die richtige Anerkennung für seine Arbeit zu bekommen. Dass er inzwischen nach Fußball und Tennis zum Golfen übergegangen ist, stellt ja auch ein gewisses Statussymbol dar.
Was hat Sie bei Ihren insgesamt elf Begegnungen am meisten überrascht?
Altbundespräsident Christian Wulff hat mich ziemlich erstaunt. Der galt ja immer als kleinbürgerlich und etwas langweilig. Und genau damit geht er ziemlich selbstironisch um. Offenbar konnte er mit diesem Klischee über sich also seinen Frieden schließen. Das ist natürlich groß. Andererseits kann er sich das vielleicht auch nur deshalb leisten, weil er kein aktiver Politiker mehr ist.
Interview: Max Heim
Marc Hujer: „Auch nur ein Mensch: Politiker und ihre Leidenschaften – und was sie uns über sie verraten“ | Deutsche Verlags-Anstalt (DVA) | 24€