Rom – Die drei Männer stehen nebeneinander, mit verschränkten Armen, und blicken finster drein. Sie tragen weiße Kochmützen, einen weißen Kittel und schwarze Hosen. Vor ihnen auf dem Trottoir auf dem Campo Santo Stefano in Venedig ist eine weiße Tischdecke ausgebreitet. Darauf silberne Unterteller, silbernes Besteck, Porzellanteller, Wassergläser und Weinkelche. Die Teller sind leer, Gäste sind weit und breit nicht zu sehen. Die drei Köche protestierten am Mittwoch gegen das jüngste Regierungsdekret in Italien, das Restaurant- und Barbesitzern seit Montag die Öffnung ab 18 Uhr abends untersagt.
„Wir sind am Boden“, lautet das Motto der Aktion. In ganz Italien gibt es dieser Tage solche Proteste. Der Ungehorsam nimmt immer vielfältigere Formen an, die nichts mit den gewaltsamen Ausschreitungen der vergangenen Tage zu tun haben. Seit Freitag war es in Folge von friedlichen Demonstrationen unter anderem in Neapel, Rom und Turin zu Ausschreitungen gekommen. Vor allem Rechtsradikale, Ultràs und Angehörige der Mafia hatten die Krawalle ausgelöst. Der Protest der Gastwirte hingegen ist friedlich. Die Küche ist in Italien heilig, das gemeinsame Essen, zuhause, aber auch in der Trattoria oder Feierabendrituale wie der Aperitif haben besondere Bedeutung. Um auf die desolate Lage der Gastronomie im Land hinzuweisen, deckten die Protestierenden überall im Land ihre leeren Tafeln auf dem Trottoir.
Auch in Rom versammelten sich am Mittwoch Gastwirte und Gastwirtinnen mit gedeckten Tischdecken vor dem Pantheon. „Zweidrittel unserer Arbeit findet nach 18 Uhr statt“, sagte Giorgio Catalano, Betreiber des „Piccolo Diavolo“ in Vatikannähe. „Mit den Einnahmen in diesen Tagen können wir nicht einmal unsere Fixkosten decken.“ Am Dienstag hatte die Regierung ein Nothilfe-Paket für Verdienstausfälle der betroffenen Kategorien in Höhe von etwa fünf Milliarden Euro beschlossen. Premierminister Giuseppe Conte warb am Mittwoch für Verständnis.
Die Einschränkungen für Lokale und Kultureinrichtungen seien notwendig, um einen landesweiten Lockdown zu verhindern. Weil bereits früher Hilfsgelder gar nicht oder nur mit großer Verspätung ankamen, ist die Skepsis im Hinblick auf die Ankündigungen groß. Auch in Mailand, Turin, Bologna, Neapel, Bari und Palermo deckten Gastwirte ihre Tischdecken auf den größten Plätzen der Stadt. In rund 300 000 Gastronomie-Betrieben in Italien werden etwa 1,2 Millionen Menschen beschäftigt. Sergio Paolantoni, Chef des römischen Gastronomie-Verbands, sagte: „Auch wir sind wichtig, nicht nur die Industrie. Wir sorgen für Leben im Land, aber jetzt sind wir am Boden.“ Seit Monaten hätte man hingenommen, dass die Gastronomie als „nicht essenzielle Aktivität“ abgestempelt wird. Die Ansteckungen fänden in anderen Zusammenhängen statt.
Insbesondere im italienischen Nordosten begehrt die Gastronomie auf. In der Region Veneto verabredeten sich Gastwirte, zwar keine Gäste zu bewirten, aber als Zeichen des Protestes in ihren Lokalen das Licht einzuschalten wie an normalen Öffnungstagen. „Ich fordere meine Kollegen auf, aus Protest auch mittags geschlossen zu bleiben“, sagte ein Gastwirt aus Padua. Besonderer Unmut herrscht zudem in und um Treviso, einer kulturellen Heimat des Aperitif. Die Rede ist von einer „Revolte des Spritz“. Zu Beginn des Feierabends ab 18 Uhr füllen sich hier normalerweise die Bars, es werden vor allem Prosecco und „Aperol Spritz“ ausgeschenkt. Mehrere Gastwirte beschlossen, trotz des Verbots geöffnet zu bleiben.