Staatsdelikt im Folterzimmer 13

von Redaktion

Mordfall Regeni: Ende der Ermittlungen wirft brisante Fragen auf

Rom – Wenn man der Staatsanwaltschaft Rom glauben will, und für Misstrauen gibt es in diesem Fall wenig Grund, dann ist der Fall Giulio Regeni geklärt. Danach haben im Namen des Staates Ägypten vor knapp vier Jahren Angehörige des ägyptischen Inlandsgeheimdienstes in Kairo den 28 Jahre alten Studenten aus der Nähe von Udine im Winter 2016 erst gefoltert und dann ermordet.

So geht es aus der 94-seitigen Ermittlungsakte hervor, aus der italienische Zeitungen zitieren. Die Rede ist von einem „delitto di stato“, einem Staatsdelikt. Jetzt legte der ermittelnde Staatsanwalt Sergio Colaiocco der parlamentarischen Untersuchungskommission in Rom seine Erkenntnisse vor. Das Bild, das die Ermittler zeichnen, ist dramatisch. Nicht nur der Staat Ägypten und seine Vertreter, auch Italiens Behörden müssen sich Fragen gefallen lassen, deren wichtigste lautet: Wie kann es sein, dass beide Länder angesichts derartiger Rechtsverletzungen ein gutes Verhältnis und blühende Geschäftsbeziehungen miteinander pflegen? Die Antwort liegt möglicherweise im Überwiegen anderer Interessen.

Regeni, damals Student der Universität Cambridge, recherchierte für seine Doktorarbeit über die Gewerkschaft der fliegenden Händler in Kairo, die den Sicherheitsbehörden im Land wegen ihrer Regimekritik ein Dorn im Auge ist. Regeni, vermuten die Täter, sei ein britischer Spion, der einen Umsturz in Ägypten befördern will. Acht Tage nach seinem Verschwinden wurde Regenis Leiche am 3. Februar mit deutlichen Spuren von Folter in einem Straßengraben bei Kairo entdeckt. Zwei Dutzend Knochen waren ihm gebrochen worden, unter anderen Grausamkeiten.

Ägypten und Präsident al-Sisi versprachen Kooperation bei der Aufklärung des Verbrechens, doch das Gegenteil war der Fall. Zeugenaussagen wurden erschwert, Lügenmärchen aufgetischt, eine diplomatische Krise begann. Mithilfe der Anwältin Alessandra Ballarini fanden die italienischen Ermittler schließlich doch fünf Zeugen, die bereit zur Aussage waren und deren Identität geheim gehalten wird. „Ich habe Regeni am Boden gesehen mit Folterspuren auf seinem Brustkorb“, sagt ein Mitarbeiter des ägyptischen Geheimdienstes. Er hatte ihn am 28. oder 29. Januar in einem vom Geheimdienst für Verhöre verwendeten Zimmer auf dem Gelände des Innenministeriums beobachtet. Das Folterzimmer, in dem die vier namentlich bekannten Offiziere der „National Security Agency“ wüteten, trug die Nummer 13. Nun will die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die vier Geheimdienst-Offiziere erheben. „Ägypten kann bei dieser Frage nicht außen vor bleiben und sich auch nicht auf die Staatenimmunität berufen, denn hier wurde ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen“, sagte Anwältin Ballarini. Auch Giulio Regenis Eltern meldeten sich zu Wort. Vater Claudio forderte den Abzug des italienischen Botschafters aus Kairo. „Italien ist seit 2017 vor allem an der Normalisierung der Beziehungen mit Ägypten und an der Entwicklung wirtschaftlicher, militärischer und touristischer Interessen gelegen und entzieht sich jeder Auseinandersetzung“, sagte er. Erst im August genehmigte die Regierung in Rom den Verkauf zweier Kriegsschiffe an Kairo. Der halbstaatliche Öl- und Gaskonzern Eni hat strategische Interessen in Ägypten und steht in Konkurrenz etwa zum französischen Konzern Total. Auch Regenis Mutter Paola sieht nun vor allem ihr Heimatland in der Pflicht. Sie forderte die Untersuchungskommission auf, Licht in das Verhalten der Ministerien in Rom unmittelbar nach der Ermordung ihres Sohnes zu bringen. „Was ist in den italienischen Behörden 2016 passiert?“, fragt sie. Diese Grauzonen müssten aufgeklärt werden.

Julius Müller-Meiningen

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