Nachts frieren sogar die Bettdecken ein

von Redaktion

Madrids Armenviertel leidet unter Stromausfall in der Kältewelle – 1800 Kinder gefährdet

Madrid – Yolanda Martin hat mehr Angst vor der Kälte als vor Corona. „Wenn ich aufstehe, sind die Bettdecken gefroren, und ich kann nicht duschen“, erzählt die 47-Jährige in einem Slum von Madrid. In ihrem Wohnzimmer ist das Kaminfeuer die einzige Wärme- und Lichtquelle, das Blechdach ihrer Veranda ist unter der Last des Schnees zusammengebrochen. Martin wohnt in Cañada Real, einem der größten Armenviertel Europas, wo zurzeit mitten in einer historischen Kältewelle rund 4000 Bewohner ohne Strom sind.

Seit Oktober kommt es hier am Rande der spanischen Hauptstadt zu Unterbrechungen der Stromversorgung – nach Angaben der Polizei ausgelöst durch Cannabis-Plantagen in Häusern, deren hoher Licht- und Wärmebedarf das Stromnetz kollabieren ließ. Nach dem Schneesturm am vergangenen Wochenende fiel die Temperatur auf minus zehn Grad, was die Lage noch verschärfte.

Die unwürdigen Lebensbedingungen wurden von Hilfsorganisationen, dem UN-Menschenrechtsrat und sogar von der spanischen Schauspielerin Penélope Cruz angeprangert. Bereits im Dezember sei ein Baby mit Unterkühlung ins Krankenhaus gebracht worden, am Sonntagabend wieder ein dreijähriges Mädchen, wie Conrado Giménez sagt, Präsident der Madrina-Stiftung. Die Hilfsorganisation verteilt Lebensmittel, Decken und Propangas-Flaschen in der Siedlung. Nach UN-Angaben gefährden die Stromausfälle die Gesundheit von fast 1800 Kindern.

Den Hunden „geht es aktuell besser als uns“, sagt die 37-jährige Lidia Arribas, Mutter von drei Kindern, die mit einer Taschenlampe in der Hand in ihre Unterkunft zurückkommt. An den Wänden kriecht der Schimmel hoch. Ihre siebenjährige Tochter Ainara hat sich im Bett verkrochen und sagt, sie schlafe immer „mit dem Kopf unter der Decke“, um sich gegen Kälte und Feuchtigkeit zu schützen. Ohne Strom können die drei Geschwister auch nicht am Fernunterricht der Schule teilnehmen. Und wegen wiederholter Stromausfälle funktionieren Kühlschrank und Waschmaschine nicht mehr.

Cañada Real liegt im Südosten von Madrid an einer alten Wanderhirten-Route. Auf einem Streifen von rund 15 Kilometern Länge leben hier mehr als 7000 Menschen unter prekären Bedingungen in provisorischen Unterkünften, vor allem Roma und Migranten aus Marokko. Die Siedlung nahe einer Autobahn in der Region Madrid wird seit rund 30 Jahren geduldet.

Sie gilt als Hochburg des Drogenhandels in der spanischen Hauptstadt. Nach Darstellung von zwei Streifenpolizisten wurden die Stromausfälle durch Hanf-Plantagen in bestimmten Häusern ausgelöst. Dies bestätigte das Energieunternehmen Naturgy, das das Viertel kostenlos mit Strom versorgt. In dieser Woche begann der Energieversorger nun, verdächtige Haushalte vom Netz zu nehmen, um die Stromversorgung des Viertels wieder sicherzustellen.

Arribas Ehemann Juan Manuel Fernando schimpft, die Stromausfälle „treffen uns alle wegen einigen Personen“, die Drogen anbauen. Die Polizei solle lieber „diese Drogenhändler rausschmeißen, anstatt uns zu kontrollieren“. Pedro del Cura ist Bürgermeister von Rivas, einer der betroffenen Gemeinden. Er kritisiert die Vorgehensweise des Stromversorgers und fordert stattdessen eine Erhöhung der Netzkapazität. Andernfalls, so befürchtet er, würden Haushalte von der Stromversorgung abgeschnitten, die nichts mit dem Drogenhandel zu tun haben.

Mit der Zigarette in der Hand und dem Blick nach unten gerichtet will Lidia Arribas „die Hoffnung nicht aufgeben“: Irgendwann werde der Strom schon zurückkommen. Bis dahin bleibt den Kindern als einziger Trost der ungewohnte Schnee, der zum Spielen einlädt.  ric/mkü/afp

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