New York – Die 40-jährige Michelle Go wartete vor einer Woche an der Times-Square-Haltestelle auf die U-Bahn. Als der Zug einfuhr, näherte sich der wohnsitzlose 61-jährige Simon Martial und stieß sie von hinten auf die Bahngleise. Der Zugführer hatte keine Chance für eine Notbremsung, die Frau wurde überrollt und starb. Der Täter, seit 1998 mindestens zehn Mal wegen Straftaten festgenommen, erklärte wenig später gegenüber der Polizei: „Ich bin Gott“. Doch ob möglicherweise auch spezifischer Rassen-Hass zu der tödlichen Aktion geführt hat, ist noch unklar.
Denn in den letzten Jahren häufen sich nicht nur in New York, sondern quer durch die USA und vor allem in liberalen Staaten wie Kalifornien brutale und unprovozierte Angriffe auf Bürger asiatischer Herkunft, ausgeführt wie zuletzt gegen Michelle Go fast immer durch Afro-Amerikaner.
„Die jüngste tödliche Attacke am Times Square auf eine Amerikanerin mit asiatischen Wurzeln ist ein extremer Horror für unsere Gemeinschaft“, so Margaret Fung, Direktorin einer asiatischen Bürgerrechts-Organisation in New York. Und: „Diese Angriffe lassen ein großes Gefühl der Verwundbarkeit zurück und müssen aufhören“. Viele Bürger ziehen mittlerweile die Konsequenzen aus dem Mord im Herzen Manhattans und anderen Übergriffen im Transitsystem. Eine Frau zeigte vor wenigen Tagen durch ein Video auf sozialen Medien sogar, wie sie sich auf dem Bahnsteig vor der Zugeinfahrt an einen Pfosten kettet, um sicher zu sein. Andere Menschen wie die asiatische Künstlerin Dulcie Dee aus dem Stadtteil Sunnyside vermeiden ganz das U-Bahn-System und nehmen den Bus, wenn es nötig ist. Dee gab aus Sicherheitsgründen sogar eine Teilzeitbeschäftigung auf, zu der sie per U-Bahn ins Zentrum pendeln musste. „Wer U-Bahn fahren will, muss immer 100 prozentig auf der Hut sein“, sagt sie.
Doch der Tod von Michelle Go und die Furcht einer ganzen Bürger-Gruppe vor Gewalttaten ist nur ein Aspekt der Kriminalitätswelle, die die Menschen in der auch bei Touristen so beliebten Metropole schockiert.
Vor allem die Zahl der Raubüberfälle und der Verbrechen mit einem Einsatz von Schusswaffen stieg in New York im Jahresvergleich zuletzt deutlich an. Und es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich die Zeiten bald ändern. Kürzlich trat der Demokrat Alvin Bragg sein Amt als leitender Staatsanwalt von Manhattan an. Bragg, ein Afro-Amerikaner, zählt zu einer Reihe von progressiven Staatsanwälten in den USA, deren Wahlkampf teilweise vom linksgerichteten Milliardär George Soros mitfinanziert wurde und die sich alle dieselben Ziele gesetzt haben: Die Zahl der in Haft befindlichen Vertreter von Minderheiten – in der Regel Schwarze und Latinos – deutlich zu reduzieren und damit eine „Rassengleichheit“ hinter Gittern herzustellen. Er kündigte jetzt an, es werde in Manhattan künftig keine Strafverfolgung mehr für Vergehen wie Widerstand gegen die Polizei, Hausfriedensbruch, Schwarzfahren oder Verkehrsdelikte geben. Für alle anderen Täter soll es keine Kautionspflicht und keine Untersuchungshaft mehr geben. Ausgenommen von diesen Regeln sind lediglich Mordverdächtige, schwerwiegende Sex-Verbrechen oder Straftaten, bei denen es ernsthafte Verletzungen der Opfer gab. Die Polizeigewerkschaft in New York hat Bragg für diese Änderungen bereits massiv kritisiert. Denn der Staatsanwalt stellt damit eine Art Freibrief für Taten aus, bei denen die Verbrecher beispielsweise mit einer Schusswaffe drohen. Keiner dieser Täter soll, setzt Bragg sein umstrittenes Konzept um, künftig mehr für längere Zeit in U-Haft genommen werden und damit seinem Alltagsleben nachgehen können. FRIEDEMANN DIEDERICHS