Stockholm – Es erinnert ein wenig an die sich immer weiter hochgeschaukelte Kampagne gegen Dänemark, wo 2005 eine Zeitung Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hatte. Soziale Medien, von denen einige mit gewalttätigen islamistischen Organisationen in Verbindung stehen, und arabische Sender verbreiten derzeit gezielt und geballt falsche Informationen über schwedische Sozialdienste. In der Hasskampagne, die unter anderem zum Boykott Schwedens und schwedischer Waren aufruft, wird behauptet, schwedische Behörden würden muslimische Kinder entführen. Untermalt wird dies teilweise mit rührenden Videos. „Wir erlauben es nicht dem schwedischen Staat muslimische Kinder zu stehlen“, predigte etwa der Malmöer Imam Basem Mahmoud immer wieder.
Laut der staatlichen schwedischen Behörde für psychologische Verteidigung handelt es sich um eine organisierte Kampagne zur Verbreitung von Fehlinformationen, die Schaden anrichten soll und derzeit über „arabischsprachige Kanäle mit Millionen von Anhängern“ verbreitet wird. Inzwischen fanden bereits Demonstrationen gegen Schweden statt.
„Wenn Sie Nachrichten sehen, die Sie wütend machen, denken Sie noch einmal nach: ,Ist das wirklich richtig? Was steckt hinter dieser Information?‘“, sagt Mikael Tofveson von der schwedischen Agentur für psychologische Verteidigung dem öffentlich rechtlichen schwedischen Radio SR. Er fordert Menschen dazu auf, kritisch zu hinterfragen, wenn sie Inhalte dieser Art im Internet oder anderen Medien sehen.
In einem rührenden Video ist folgende Szene zu sehen: Ein Vater mit muslimischem Hintergrund steht im schwedischen Februarschnee und schreit verzweifelt vor einem Sozialamt herum. Er wolle seine Kinder zurück, die von den schwedischen Behörden entführt worden seien. Schwedische Medien überprüften einige der kritisierten Fälle, in denen Eltern mit muslimischem Hintergrund das Sorgerecht für ihre Kinder zeitweise entzogen wurde. So untersuchte das öffentlich rechtliche Fernsehen SVT drei dieser Fälle, analysierte die behördlichen Dokumente und Urteilsbegründungen der verantwortlichen Sozialdienste und Verwaltungsgerichte. In allen drei Fällen gaben die Kinder selbst an, Angst davor zu haben, ihre Eltern zu sehen und dass sie selbst sowohl physischen als auch psychischen Übergriffen, unter anderem auch Missbrauch, durch die eigenen Eltern ausgesetzt waren. Das stünde im krassen Gegensatz zu der Behauptung, Schwedens Sozialdienste und Verwaltungsgerichte würden systematisch Kinder mit muslimischem Hintergrund „entführen“, wie der Sachverhalt oft in arabischen Kanälen umschrieben wird. Die Kampagne flammte erstmals nach dem Jahreswechsel auf und weitet sich seitdem immer mehr aus.
Der Terrorismusforscher Magnus Ranstorp hat untersucht, wie sich die Kampagne in den sozialen Medien verbreitet hat. Demnach haben auch islamistische Prediger damit begonnen, die Behauptungen zu verbreiten. „Die Einmischung von Imamen in diese Angelegenheit ist ernst zu nehmen. Denn diejenigen, die diese falschen Geschichten über die Zwangsbetreuung durch Sozialdienste verbreiten, beeinflussen die Wahrnehmung ihrer Gemeinde“, sagt er dem Sender SVT.
In Schweden ist die Angelegenheit bereits eines der großen Nachrichtenthemen. Der Terrorismusforscher glaubt, dass die islamistischen Imame die Botschaften wiederholen, um einen Keil zwischen die Gemeindemitglieder und den Rest der Gesellschaft zu treiben. „Sie wollen ihre Gemeindemitglieder abkapseln und sie von der Säkularisierung fernhalten“, sagt er. Da sei so eine Geschichte genau richtig. Ranstorp sieht die Verbreitung falscher Informationen sowohl in Schweden als auch im Ausland in Wellen kommen. Er glaubt nicht, dass sich die Sache abschwächen werde, und deshalb sei es wichtig, dass sich die Menschen in der Zivilgesellschaft engagierten, um herauszufinden, was wahr ist und was nicht. ANDRÉ ANWAR