München – Die zwei Clowns fahren Ruderboot in der Manege und verteilen Riesenseifenblasen über dem Publikum. Leuchtende Kinderaugen, Applaus und Lachen in Neuwied am Rhein. Das Clownpaar ist auch im wirklichen Leben ein Ehepaar. Katharina aus Russland und Gnadi aus der Ukraine treten im deutschen Moskauer Circus auf. Direktor Gino Frank sagt zu seiner 70-köpfigen Truppe: „Bei uns sind 20 Russen und 9 Ukrainer.“ Nur zwei Flugstunden weiter östlich schießen Soldaten dieser beiden Nationen aufeinander – in Neuwied betont Frank: „Wir sind das ganze Jahr eine große Familie auf engstem Raum. Wir wollen keinen Krieg. Das ist eine Tragödie.“ Demonstrativ wehen vor seinem Zirkuszelt ukrainische Fahnen.
Die Artisten aus rund zehn Nationen freuten sich nach zwei Jahren Corona-Pause über den Neustart. Doch das achtköpfige Zirkusorchester aus der Ukraine fehlt: Sie haben ihre Visa noch vor dem Krieg bekommen, sind aber kurz nach dem 24. Februar an ihrer Grenze eingezogen worden und müssen jetzt ihr Land verteidigen. In dem Kuppelzelt kommt die Musik daher vom Band.
Auch der Circus Krone in München gibt vielen ukrainischen Artisten ein zweites Zuhause. Mit Beginn des Programms am 12. Februar trafen die Künstler im Zirkus ein – kaum zwei Wochen später war ihre Welt eine andere. Freunde und Verwandte der Artisten, die nach dem Kriegsausbruch aus der Ukraine nach Bayern fliehen konnten, wurden von einem der größten Zirkusse der Welt mit offenen Armen empfangen. „Sie können alle so lange bleiben, wie es notwendig ist“, betont Frank Keller vom Circus Krone. Der Zirkus soll nach seinen Worten unpolitisch sein und alle Nationen unter einem Dach vereinen.
Mithilfe der Show können die Künstler abschalten und einen Alltag erleben, den sie zuvor verloren haben. „Wenn du nicht auf dein Handy guckst, denkst du oft, dass alles normal ist“, betont eine Tänzerin der Theatergruppe „Bingo“. So sind die Mitarbeiter zerrissen zwischen ihrem Alltag im Circus Krone und dem Leiden in ihrem Heimatland.
Beim Moskauer Circus soll der Name laut seinem Direktor Gino Frank an die osteuropäische Zirkustradition erinnern: „Wir schämen uns nicht für unseren Namen.“ Der Moskauer Circus ist dabei nicht zu verwechseln mit dem russischen „Großen Moskauer Staatszirkus“.
Verheiratet ist Gino Frank mit Leyla Mak, Tochter eines russischen Ex-Generaldirektors mehrerer Zirkusse und einer einstigen ukrainischen Artistin. Mak betont, der Zirkus solle ein Symbol dafür sein, „dass dieser Krieg nicht der Krieg des russischen Volkes gegen das ukrainische Volk ist. Unsere Familie, unsere Zirkusdynastie ist der Liebe zwischen ukrainischen und russischen Artisten entsprungen.“
Anfangs führt der Name Moskauer Circus in Neuwied zu Missverständnissen – eine russische Artistentruppe von Putins Gnaden? Stadtsprecher Blum berichtet von Anfeindungen. Die Kommune habe erst Plakate entfernen lassen, sei jedoch nach einem Gespräch mit dem Zirkus zurückgerudert. In einer Mitteilung zeigt die Stadt „Verständnis für die emotional aufgeheizte Lage, warnt aber mit Nachdruck davor, alle russischen oder Russisch sprechenden Menschen pauschal zu verurteilen“.
Bald soll auch ein Zirkusballett mit sechs Ukrainerinnen hinzukommen. Direktor Gino sagt: „Wir nehmen sie als Flüchtlinge auf.“ Plus bis zu 20 weitere Vertriebene aus der Ukraine.
Jens Albes, Felix Müschen