Shanghai – Herr Yu will zum Arzt, hat leichtes Fieber. „Ich habe nichts zu essen. Ich fühle mich schrecklich“, sagt der ältere Herr in einem dringlichen Telefonat mit seinem Nachbarschaftskomitee in Shanghai. Seit Wochen unterliegen die meisten der 26 Millionen Einwohner der Hafenmetropole einem harten und vielfach chaotischen Lockdown. Er habe auch keine Medikamente mehr, klagt Herr Yu. Sein Antrag, medizinisch behandelt oder zur Computertomografie gelassen zu werden, bleibe seit Tagen von höherer Stelle unbeantwortet. „Ist das in Ordnung für die, wenn ich sterbe?“
Der Funktionär am anderen Ende der Leitung ist überfordert: „Wir sind machtlos und können nichts daran ändern“, sagt er und beklagt sich über die Verantwortlichen. „Die tun nichts für die Alten, die Schwangeren und die Senioren, die gestorben sind.“ Ein Mitschnitt des Gesprächs, das wohl von einem Familienmitglied aufgezeichnet wurde, geht online, empört Millionen, bis die Zensur es streicht.
Noch bevor die Stadt überhaupt Covid-Todesfälle bestätigt, kursieren im Internet verzweifelte Schilderungen von Angehörigen, dass Alte oder chronisch Kranke keine medizinische Behandlung bekommen hätten und deswegen gestorben seien. Am Montag meldet die Stadtregierung dann die ersten drei Toten: ältere Patienten, die auch anderweitig krank gewesen seien. Ihr Alter wird mit 89 bis 91 Jahre angegeben.
Während der Rest der Welt versucht, „mit dem Virus zu leben“, kämpfen Chinas Behörden mit alten Waffen gegen einen neuen Feind: Omikron BA.2. Die sich rasant verbreitende Variante stellt Chinas Null-Covid-Strategie infrage. Rigorose Methoden wie Ausgangssperren, Massentests und Quarantäne verlieren an Wirkung – konnten das Virus in Shanghai bisher nicht stoppen. Die Mehrzahl der landesweit 30 000 neuen Infektionen pro Tag wird in der Hafenstadt entdeckt.
Die Nerven liegen blank. Staatsmedien räumen ein, dass „Zweifel, Angst und Müdigkeit spürbar“ seien. Und: Erst Mitte Juni soll der Ausbruch in Shanghai wirklich unter Kontrolle sein, sagen chinesische Experten.