Venedig droht das Ticket-Chaos

von Redaktion

Wirbel nach Entscheidung für Stadt-Eintritt: Wer soll wann wie viel zahlen?

VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Venedig – Bis zu zehn Euro Eintritt für Venedig! Nach dem Beschluss der Stadtverwaltung ist die Empörung bei den Besuchern der Lagunenstadt so groß wie der Ärger der Venezianer über den Ansturm der Touristenmassen, der heuer über Ostern einen ersten Höhepunkt fand. „Es ist ein Delirium, wir sind wieder am Limit“, hatte Polizeichef Marco Agostini die teils drastischen Zustände in der Stadt über die Feiertage beschrieben. Fast eine halbe Million Besucher wurden gezählt, allein Karfreitag sollen es 120 000 Touristen gewesen sein. „Alle Parkplätze waren voll“, schimpfte Agostini. „Überall gab es Menschen-Schlangen, Verstopfung.“

Wie es scheint, ist Venedig nach zwei Jahren erzwungenem Müßiggang während der Pandemie nun wieder zurück in alten Zeiten. Denn vor Corona wurden bereits 30 Millionen Besucher in der Stadt gezählt, pro Jahr. Deswegen macht die Stadtverwaltung nun Ernst mit ihrem lang angekündigten Plan, Besucher zur Kasse zu bitten.

Ab Juli beginnt die Pilotphase, im Januar 2023 soll dann alles wie geschmiert laufen. Alle Tagesausflügler zahlen dann bis zu zehn Euro Eintritt. Schon während der noch bis Ende November laufenden Kunst-Biennale dürfte die Maßnahme Wirkung entfalten. Zweifellos kommt so Geld in die Kassen der Stadt, schon jetzt wird eine Übernachtungsgebühr erhoben. Offiziell soll der Eintritt die Touristenströme nach Venedig regulieren. Bürgermeister Luigi Brugnaro weiß um die Bedeutung der Maßnahme: „Wir sind die Ersten auf der Welt, die dieses Experiment wagen“, sagte er. Die Verordnung gilt nur für Tagesausflügler, nicht aber für Gäste, die über Nacht bleiben. Auch die nur noch rund 50 000 Einwohner Venedigs sowie die Bewohner der Region Veneto sind ausgenommen. Tagesausflügler sollen sich künftig auf einem Online-Portal anmelden und erhalten einen QR-Code für den Zugang nach Venedig. Die Stadtverwaltung plant, den Eintrittspreis von der Anzahl der Gäste abhängig zu machen. So soll die Buchung des Venedig-Ausflugs erst ab einer Zahl von 40 000 Besuchern in der Stadt obligatorisch sein. Auch der Eintrittspreis könnte, je nach Andrang, variieren. Die Rede ist von zwei bis zu zehn Euro Eintritt. „Das Ziel ist nicht Geld zu verdienen, sondern den Fluss der Besucher zu steuern“, sagt Tourismus-Referent Simone Venturini.

Eine Venedig-Buchung soll beispielsweise mit ermäßigten Preisen für den teuren ÖPNV oder mit günstigeren Museums-Tickets einhergehen. Kritiker teilen die Argumentation nicht. Giacomo Salerno von der Initiative Ocio Venezia sagt: „Die Maßnahme löst das Problem des Übertourismus nicht.“ Salerno schlägt dagegen vor, die Höchstzahl der Touristen-Betten in Venedig zu begrenzen. Dies stößt allerdings auf den Widerstand der mächtigen Tourismus-Branche der Stadt.

Bis Juli müssen noch einige Probleme gelöst werden. Wie und von wem etwa sollen die Venedig-Tickets kontrolliert werden? Wie bekommen Gäste mit, dass großer Andrang in der Stadt herrscht und ein Ticket notwendig ist? Wird es zur umstrittenen Installation von Drehtüren an den Zugängen zur Stadt kommen? Warum muss man für ganz Venedig Eintritt bezahlen, wenn die überlaufenen Orte vor allem der Markusplatz und die Rialto-Brücke sind? Fragen, auf die die Stadtverwaltung erst noch Antworten finden muss. Touristisches Fehlverhalten hat man indes schon sanktioniert: Wer mit nacktem Oberkörper durch die Stadt flaniert, zahlt 250 Euro, wer Möwen oder Tauben füttert 300 Euro und wer Liebes-Schlösser an Denkmälern oder Brücken befestigt 100 Euro.

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