Oben-ohne-Schwimmen für alle erlaubt

von Redaktion

Pilotprojekt in Göttingen: An Wochenenden reicht künftig die Badehose

Göttingen – Nacktbaden hat in Deutschland Tradition. Ob auf Sylt, in Rostock oder am Chiemsee – sobald das Wetter es zulässt, lassen Menschen an FKK-Stränden ihre Hüllen fallen. Was draußen am Wasser vielerorts erlaubt ist, ist in den meisten Schwimmbädern laut Hausordnung verboten. Konkret heißt das: Die primären Geschlechtsmerkmale – Penis und Vulva – und die sekundären Geschlechtsmerkmale – die weibliche Brust – müssen bedeckt werden. In Göttingen soll sich das nun ändern. Seit dem 1. Mai dürfen sich in den vier städtischen Schwimmbädern künftig alle Menschen obenrum frei machen – allerdings nur samstags und sonntags.

Initiiert wurde die neue Regelung von Mina Berger und dem feministischen Göttinger Bündnis „Gleiche Brust für alle“. Berger heißt eigentlich anders, möchte aber anonym bleiben. Auslöser war, dass Berger sich im August vergangenen Jahres in einem Göttinger Hallenschwimmbad das Bikini-Oberteil auszog. „Das hat sich gut angefühlt zu merken: Ich fühle mich einfach wohler, wenn ich nicht dieses Oberteil an meinem Körper kleben habe.“ Berger bezeichnet sich selbst als non-binär, identifiziert sich also weder als Frau noch als Mann. Das Schwimmbad sah Berger jedoch als Frau und erteilte einen Schwimmbadverweis sowie ein Hausverbot wegen Oben-ohne-Badens.

Warum ist ein nackter Männeroberkörper okay, nackte Brüste aber nicht? Diese Frage stellen sich nicht nur Aktivistinnen und Aktivisten in Göttingen. Deutschlandweit gründen sich Bewegungen, die ein Oben-ohne-Recht für alle Menschen fordern – zumindest für die Orte, an denen sich auch Männer mit nacktem Oberkörper zeigen dürfen. Sie fordern Geschlechtergerechtigkeit und die Entsexualisierung des weiblichen Körpers.

Schon im vergangenen Jahrhundert wurde Frauen vorgeschrieben, wie sie sich beim Baden zu kleiden haben. Der sogenannte Zwickelerlass von 1932 besagte, dass Frauen nur dann öffentlich baden durften, wenn sie einen Badeanzug trugen, der Brust und Leib an der Vorderseite des Oberkörpers vollständig bedeckte und unter den Armen fest anlag. In den 50er- und 60er-Jahren gab es Bikini-Verbote in Bädern oder an Stränden, die erst im Zuge der Studentenbewegung aufgehoben wurden.

Jetzt geht Göttingen einen Schritt weiter. „Ungewöhnlich viele Badegäste sind in die Bäder gekommen“, sagte Andreas Gruber, Geschäftsführer der Göttinger Sport und Freizeit GmbH, am Sonntag. Es gebe viel positives Feedback, und von der Möglichkeit des Oben-ohne-Badens werde auch Gebrauch gemacht. „Verständlicherweise aber eher zurückhaltend“, sagte Gruber mit Blick auf das große Interesse.

Vor allem in den Kommentarspalten der sozialen Medien gibt es auch kritische Stimmen. Eine Nutzerin spricht vom „Gendergaga-Endstadium“. Ein Kommentator fragt zynisch, ob Männer jetzt unter der Woche Badeanzüge oder Bikinitops tragen müssten. Im Göttinger Sportausschuss, der über die neue Regel entschied, gab es nach Angaben der Gleichstellungsbeauftragten Christine Müller Stimmen, die sagten: „Wir müssen auf unsere Menschen mit Migrationsgeschichte Rücksicht nehmen.“

Mina Berger hingegen glaubt, dass es unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft für alle Menschen als etwas Normales angesehen werden könnte, nackte Brüste in der Öffentlichkeit zu sehen. Der Blick der anderen sei das Problem, nicht die Nacktheit an sich.

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