Die Ukraine kann doch siegen

von Redaktion

Die Band „Kalush Orchestra“ ist beim European Song Contest der Favorit der Buchmacher

VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Turin – Der Eurovision Song Contest (ESC) wurde in Italien jahrzehntelang eher spöttisch betrachtet. Schließlich hatte man immer schon das traditionsreiche Schlagerfestival von San Remo. Italien, Land der dolce vita und der cantautori, der Liedermacher, betrachtete sich gewissermaßen außer Konkurrenz. Doch das änderte sich im vergangenen Jahr schlagartig, als die römische Rockband Måneskin mit ihrem Lied „Zitti e buoni“ beim ESC in Rotterdam triumphierte. Måneskin läuft inzwischen in ganz Europa im Radio, die Band spielte als Vorgruppe der Rolling Stones. Und soll am Samstag beim ESC-Finale im Pala Olimpico in Turin als Sondergast begeistern.

Italien hat diesmal inoffiziell zwei Teilnehmer im Wettbewerb. Mahmood und Blanco, Gewinner des diesjährigen San-Remo-Festivals, treten für Italien an. San Marino schickt mit Achille Lauro ebenfalls einen italienischen Sänger ins Rennen.

Aus Deutschland nimmt Malik Harris mit dem Song „Rockstars“ teil, die Buchmacher räumen ihm kaum Chancen ein. Neben Italien treten auch die Teilnehmer aus Frankreich, Großbritannien, Spanien und Deutschland erst direkt im Finale an. Am Dienstagabend fand das erste Halbfinale statt, am Donnerstag folgt das zweite Halbfinale. Am Samstag wetteifern die 24 Finalisten dann um den Titel. Die Länder nehmen sich als größte Beitragszahler der European Braodcasting Union (EBU) dieses Recht heraus.

Die Punkte werden je zur Hälfte von den Fernsehzuschauern aus den Teilnehmerländern und von nationalen Jurys vergeben. In der deutschen Jury gab es kurzfristig noch eine Änderung. Die Sängerin Felicia Lu hatte bereits im März öffentlich über ihre Favoriten gesprochen. Das dürfen Jury-Mitglieder laut der Vereinbarung, die Lu laut NDR im April unterschrieb, nicht.

Moderiert wird die 66. Ausgabe des ESC von der italienischen Popsängerin Laura Pausini sowie vom libanesisch-britischen Musiker Mika und dem TV-Moderator Alessandro Cattelan. Die italienischen Veranstalter, die das Festival unter das Motto „The sound of beauty“ (der Klang der Schönheit) gestellt haben, rechnen mit bis zu 200 Millionen TV-Zuschauern. Wie Simona Martortelli, die Auslandschefin des italienischen Fernsehsenders Rai mitteilte, werden die Interessenten für das Festival immer jünger. „Das Alter des Publikums, das sich hauptsächlich für die Veranstaltung interessiert, liegt zwischen 15 und 24 Jahren“, sagte sie.

Der ESC wurde 1956 nicht zuletzt mit der Idee gegründet, dass Musik ein Mittel zur Einheit in Europa sein kann. Die EBU sah sich nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine Ende Februar aber doch gezwungen, Russland vom Wettbewerb auszuschließen. Belarus wurde bereits vergangenes Jahr suspendiert. Der zuletzt eingereichte Musikbeitrag stammte von einer Band, die sich über Proteste gegen den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko lustig macht.

Eigentlich will der ESC unpolitisch sein, das ist auch in den Statuten festgeschrieben. Politische Einstellungen oder Botschaften dürfen in den Wettbewerbs-Beiträgen keinen Platz finden. Doch angesichts des Ukraine-Krieges scheint das kaum möglich. Top-Favorit bei den Buchmachern ist die Band „Kalush Orchestra“ aus der Ukraine, die am Dienstagabend bereits im Halbfinale auftrat. Im Vorfeld hatte Sänger Oleh Psiuk offengelassen, ob die Band auf der Bühne ein Zeichen setzen werde (der Auftritt war dann vor allem modisch extravagant). „Wir haben ein paar Kostüm-Anpassungen vorgenommen und unserem Auftritt ein paar Veränderungen hinzugefügt“, sagte er. Bei den Proben hatte Psiuk eine Ukraine-Fahne mit dem Symbol der Streitkräfte im Hosenbund.

Da die Band aus sechs wehrfähigen Männern besteht, bedurfte es einer Sondergenehmigung der ukrainischen Regierung für die Teilnahme am ESC-Finale. Der Song „Stefania“ ist eigentlich als Hymne an die Mutter des Kalush-Sängers gedacht, hat sich in der Ukraine aber schon jetzt als inoffizielle Nationalhymne etabliert. Der Effekt könnte sich bei einem Sieg im Finale am Samstag noch verstärken.

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