Uvalde/Washington – Es ist eine Tat jenseits des Vorstellbaren: Ein junger Mann stürmt bewaffnet in eine Grundschule im US-Bundesstaat Texas und schießt um sich. Mindestens 19 Schulkinder sterben. 19 Buben und Mädchen, die sich vielleicht darauf gefreut hatten, nach der Schule mit Freunden zu spielen oder Eis zu essen. Nun sind sie tot. Auch zwei Lehrer sterben. Andere Kinder und Erwachsene bleiben mit Verletzungen zurück – und mit Angst und dem Trauma, dass sie diesen brutalen Gewaltausbruch miterleben mussten.
Der Amoklauf in der kleinen Stadt Uvalde in Texas ist eine der verheerendsten Attacken dieser Art in den USA und lässt viele Amerikaner ratlos und fassungslos zurück. Wieder einmal. Die Welt in dem 16 000-Einwohner-Ort nahe San Antonio in Texas wird am vergangenen Dienstag jäh aus den Fugen gerissen: Nach bisherigen Erkenntnissen schießt ein 18-Jähriger zunächst auf seine Großmutter, flüchtet dann mit einem Auto, baut nahe der Robb-Elementary-School einen Unfall und dringt schließlich bewaffnet in die Grundschule ein. Als Polizisten herbeieilen, verschanzt sich der junge Mann in einem Klassenraum und beginnt, auf Kinder und Lehrer zu schießen. Bis Sicherheitskräfte in den Raum eindringen und den Schützen töten, sind 21 Leben ausgelöscht.
Allmählich werden allerdings Details über den Täter bekannt. So berichtet der Sender CNN, der Schütze habe kurz vor dem Massaker auch Textnachrichten an ein Mädchen aus Frankfurt am Main geschickt. Die 15-Jährige soll seit Anfang Mai in Kontakt mit dem Schützen gestanden haben, wie der Sender unter Berufung auf Chatprotokolle und ein Gespräch mit dem Teenager berichtet. Der Schütze schickte laut Sender auch Videos von sich an das Mädchen.
Wenige Stunden nach der Attacke versucht US-Präsident Joe Biden in Worte zu fassen, was viele Eltern in Uvalde womöglich fühlen: „Ein Kind zu verlieren, ist, als wenn einem ein Stück der eigenen Seele entrissen wird“, sagt Biden im Weißen Haus. Biden verlor als junger Mann seine erste Ehefrau und seine kleine Tochter bei einem Autounfall. Später starb einer seiner erwachsenen Söhne an Krebs. Es sei, als ob man ersticke, sagt er. Dann redet sich der Präsident in Rage über eine Epidemie der Waffengewalt, die es sonst nirgendwo auf der Welt gebe, über irrsinnige Waffengesetze und jahrzehntelange politische Untätigkeit. „Ich habe es satt“, klagt er. „Wir müssen handeln.“ Das „Gemetzel“ dürfe nicht immerzu weitergehen. Zuvor hatte schon seine Stellvertreterin Kamala Harris bei einer Rede „Genug ist genug!“ gerufen und gefordert: „Wir müssen den Mut finden, zu handeln.“ Für Aufsehen sorgte auch Basketballtrainer Steve Kerr, der bei einer Pressekonferenz am Tag nach dem Amoklauf sichtbar gegen Tränen ankämpfen musste. „Wann werden wir etwas unternehmen?“, fragte der NBA-Erfolgscoach von den Golden State Warriors und schlug wütend mit der Faust auf den Tisch. „Ich habe es so satt.“
In Washington demonstrieren am Donnerstag Befürworter strengerer Waffengesetze vor dem Kapitol, unterstützt von namhaften Politikern der Demokraten. Vor Ort in Texas kocht die Debatte hoch. Bei einer Pressekonferenz mit dem republikanischen Gouverneur Greg Abbott in Uvalde kommt es zu verbalen Ausfällen. Der Demokrat Beto O’Rourke, der Abbott das Gouverneursamt streitig machen will, wirft dem Republikaner vor, nichts gegen die grassierende Waffengewalt zu unternehmen. Ein Mann beschimpft den Demokraten daraufhin wüst und sagt: „Ich kann nicht fassen, dass Sie ein kranker Bastard sind, der aus einer Sache wie dieser ein politisches Thema machen will.“
Wenn es um eine Verschärfung der Gesetze geht, zeigt Biden mit dem Finger auf den Kongress. Für weitreichende Gesetzesänderungen fehlen seinen Demokraten die nötigen Stimmen im Senat. Viele Republikaner lehnen schärfere Regeln ab: Das Recht auf Waffenbesitz ist für viele Konservative in den USA eine Art Heiligtum, ein Grundrecht, das nicht anzutasten ist. Die Waffenlobby in den USA ist mächtig. Besonders im konservativen Süden, in Texas, findet sie viel Gehör. Direkt nach dem Blutbad bringen erste Republikaner das altbekannte Argument vor, dass nicht Waffen das Problem seien, sondern einzelne ihrer Besitzer. Ihre Lösung: bewaffnetes Sicherheitspersonal an Schulen. Manche meinen, Lehrer sollten Waffen tragen. Mehr Waffen gegen Waffengewalt?
C. JACKE, J. NAUE, J. RODUST