Berlin/Bad Arolsen – Es ist gespenstisch ruhig vor der Kaulbach-Schule im nordhessischen Bad Arolsen. Einen Tag nach der Autoattacke in Berlin auf eine Gruppe aus Schülern und Lehrern der Schule, deren Klassenfahrt in die Hauptstadt ein so schlimmes Ende nahm, findet der Unterricht wie gewohnt statt. Ein normaler Tag ist es dennoch nicht: Vor dem Gebäude der Real- und Hauptschule liegen Kerzen und Blumen in Gedenken an die getötete 51-jährige Lehrerin und die acht zum Teil Schwerverletzten – ein Lehrer und sieben Schüler. 17 unverletzt gebliebene Schüler sind inzwischen wieder in die Region zurückgekehrt.
Die Schüler und ihre Lehrer aus der 16 000 Einwohner zählenden Kleinstadt waren am Mittwochvormittag in der Nähe der Berliner Gedächtniskirche zu Fuß unterwegs, als das Auto in die Gruppe fuhr. Eine Lehrerin stirbt, ihr Kollege und sieben Schülerinnen und Schüler werden verletzt. Der Autofahrer – ein 29 Jahre alter, in Berlin lebender Deutsch-Armenier – wird gefasst. Er ist in Polizeigewahrsam und sollte gestern dem Richter vorgeführt werden. Der Richter kann einen Haftbefehl ausstellen, sodass der Mann in Untersuchungshaft kommt. Außerdem hat die Mordkommission Ermittlungen aufgenommen. Die Berliner Staatsanwaltschaft will den Amokfahrer vorläufig in einer Psychiatrie unterbringen lassen. Es spreche „relativ viel“ für eine paranoide Schizophrenie des Mannes, sagte der Sprecher der Behörde, Oberstaatsanwalt Sebastian Büchner.
Zu gleicher Zeit hatten in Bad Arolsen die Schüler still und andächtig ihre Klassenräume betreten. „Es ist wichtig, dass die Schule zur Ruhe kommt und das Geschehene verarbeitet wird“, sagt die Sprecherin des Schulträgers, Ann-Kathrin Heimbuchner. Es sei zunächst keine Stellungnahme seitens der Schule geplant. Auch die Internetseite der Schule ist offline.
„Es ist traurig“, sagt eine erschütterte Passantin. Sie ist eine der wenigen in Bad Arolsen, die sich an diesem Morgen überhaupt äußern wollen. Die meisten winken schon aus der Ferne ab. Die Tat bringe die Erinnerungen an die dramatische Amokfahrt in Volkmarsen zurück, berichtet die Frau. Im Jahr 2020 war dort ein Mann vorsätzlich mit seinem Auto in den Rosenmontagszug der nur zehn Kilometer entfernten Kleinstadt gefahren und hatte dabei 80 Menschen teils schwer verletzt, darunter zahlreiche Kinder. „Da haben wir damals Leute gekannt. Vielleicht kennen wir hier auch welche“, sagt ihr Mann. Wieder habe es unschuldige Menschen getroffen. Die Taten machten ihnen Angst, sagen beide. „Besonders jetzt, wo auch die Feste wieder anfangen.“ Sie habe Sorge, dass solche Taten in Zukunft häufiger vorkommen, meint die Frau. „Man hat so ein Gefühl.“
Auch in Berlin weckt die Todesfahrt schlimme Erinnerungen, so etwa beim 60-jährigen Egbert Schmidt. Nach eigenen Angaben war er kurz vor Weihnachten 2016 auf dem Weihnachtsmarkt in unmittelbarer Nähe und leistete Erste Hilfe, als ein islamistischer Attentäter mit einem Lkw in die Menschenmenge auf dem Breitscheidplatz fuhr. Gestern stand Schmidt auf dem Gehweg, wo das Auto tags zuvor die Schülergruppe erfasst hatte. „Das ist wie ein Déjà-vu“, sagt er. Der Verkehr rund um den Tatort läuft inzwischen wieder. An zwei Fußgängerampeln wurden Blumen und Kerzen als Zeichen der Trauer abgelegt.
In Bad Arolsen sprechen Hessens Ministerpräsident Boris Rhein und Kultusminister Alexander Lorz (beide CDU) Schülern und Kollegium ihr Mitgefühl aus. „Wir haben ganz schwere Herzen“, sagt Rhein. Lorz betonte, das „unser Mitgefühl bei allen Beteiligten ist, die diese Bilder nie aus dem Kopf bekommen werden.“