Besetzt! Handtuch-Reservierung am Pool

von Redaktion

Experte erklärt, warum das Gerangel um die Sonnenliegen in diesem Jahr besonders groß ist

Genf – Wer kennt nicht die Geschichten von frühmorgens am Hotelpool: Sobald die Anlage öffnet, stürzen Dutzende Urlauberinnen und Urlauber los und besetzen mit Handtüchern Sonnenliegen. Bloß erst mal die besten Plätze sichern, dann gemütlich frühstücken oder gar noch mal ins Bett. Hauptsache, das Territorium ist abgesteckt, auch wenn man erst Stunden später zum Sonnenbaden kommt. „HandtuchKrieg“ heißt das. Das Phänomen ist zwar uralt, aber in diesem Jahr könnte es besonders viel Ärger auslösen.

„Die Menschen haben durch die Corona-Pandemie lange auf ihren Urlaub gewartet und haben vielleicht noch mehr als vorher das Gefühl, sie müssten alles aus dem Urlaub herausholen“, sagt Tourismus-Experte Alexis Papathanassis. „In vielen Urlaubsländern gibt es aber einen Fachkräftemangel in der Hotellerie, da wird es Einschränkungen bei den Dienstleistungen geben. Wenn die Leute deshalb schon unzufrieden sind, gewinnen kleine Ärgernisse wie besetzte Sonnenliegen zusätzlich an Bedeutung.“ Papathanassis, Rektor der Hochschule Bremerhaven und Professor für Betriebswirtschaftslehre, Wirtschaftsinformatik und Touristik/Seetouristik, hat das Phänomen erforscht.

Der Frühsport in Badelatschen gehört auf Ferieninseln wie Mallorca oder Teneriffa auch 2022 zu den Badeferien. Ein Hotel auf Teneriffa hat deshalb sogar einen „Pool-Sheriff“ im Einsatz, wie es in einem Video auf TikTok zeigt: Der räumt die reservierten Sonnenliegen morgens wieder leer, weil Reservierungen vor zehn Uhr in der Anlage verboten sind. Unterlegt ist der Sheriff-Einsatz mit einem Lied von Bonnie Tyler „Holding out for a Hero“ – „Ich warte auf einen Helden“.

Tourismusexperte Papathanassis befasste sich 2019 zusammen mit Stephanie Boecker in einem wissenschaftlichen Sammelband mit dem Handtuch-Krieg. Sie werteten Dutzende Online-Quellen und Nutzerkommentare aus und führten Interviews mit 28 Touristen. Sie kamen zu dem Schluss, dass viele Urlauber wegen der Medienberichte mit einer Sonnenliegen-Knappheit geradezu rechnen. Sie würden sich deshalb von vornherein auch Liegen am Pool reservieren.

„Das ist ein bisschen wie mit dem Klopapierhamstern zu Beginn der Corona-Pandemie“, sagt Alexis Papathanassis. „Leute hören, dass angeblich etwas knapp ist, und verhalten sich dann so, dass es wirklich knapp wird.“ Zudem gingen viele Leute davon aus, dass alle anderen genauso denken wie sie selbst. Ein Bedürfnis nach Routine und Sicherheit werde auch als Grund für die Besetzung von Liegen genannt.

Die Briten verunglimpfen Deutsche gerne als „beach towel brigade“ – Strandhandtuch-Brigade. Vor Jahren hat eine britische Brauerei das in einem Werbespot verulkt: Während ein Pulk beleibter Deutscher zum Pool rennt, schleudert ein cooler Brite eine Handtuchgranate aus dem Fenster. Sie springt wie ein flacher Stein über den Pool, landet auf einer Sonnenliege, und das Handtuch entrollt sich elegant mit einer Bierdose darin. Auch die Schweizer Fluggesellschaft Swiss nahm 2016 die Deutschen mit einer Werbeaktion aufs Korn. Sie schickte Schauspieler in Uniformen der Schweizergardean den Strand von Palma de Mallorca, um die reservierten Liegen zu bewachen.

Viele Menschen scheuen sich, besetzte Liegen selbst zu räumen. Das passiere „aus Angst vor einer Konfrontation mit einem wütenden Sonnenliegen-Blockierer, so Alexis Papathanassis. Die meisten Leute fänden deshalb klare Regeln, die wie auf Teneriffa durchgesetzt werden, gut. Für manche sei das Spektakel um besetzte Liegen auch amüsant. Sie „sehen ihren Urlaub durch die Aufregung einer Konfrontation bereichert“. CHRISTIANE OELRICH

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