Stettin/Berlin – Rund eine Woche nach Bekanntwerden des massenhaften Fischsterbens in der Oder richten sich die Blicke mehr und mehr auf den Mündungsbereich vor der Ostsee. Man setze alles daran, dass kein toter Fisch im Stettiner Haff ankomme, hatte der Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus (SPD), gesagt.
Die Oder fließt in das Stettiner Haff, durch das die Grenze von Deutschland und Polen verläuft, und von dort aus in die Ostsee. Die Tourismusbranche in der Region im östlichen Mecklenburg-Vorpommern zeigt sich besorgt. „Es ist eben noch eine Situation, in der sehr vieles unklar ist“, sagte der Geschäftsführer des Landestourismusverbands, Tobias Woitendorf. Die Landesregierung in Schwerin rät vorsichtshalber vom Baden im Stettiner Haff ab. Gesundheitliche Risiken könnten bislang nicht ausgeschlossen werden. Auch vom Angeln, Fischen und der Wasserentnahme haben Behörden abgeraten. Auch südlich der Hafenstadt Stettin sind mittlerweile nach Angaben polnischer Behörden in Kanälen, die mit der Oder verbunden sind, tote Fische gefunden worden. Dies bedeute, dass sich die verseuchten Wassermassen auf Stettin zubewegten.
Auf der Suche nach der Ursache für das massenhafte Fischsterben haben die Forscher weiter eine giftige Algenart im Blick, die sich im Fluss rasant entwickelt hat. Mittlerweile sei die Mikroalge mit dem Namen Prymnesium parvum identifiziert worden, sagte der Gewässerökologe Christian Wolter vom Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei gestern. „Die Art ist bekannt dafür, dass es gelegentlich zu Fischsterben kommt“. Unklar sei nach wie vor, ob das Toxin der Alge der Grund für das Fischsterben in der Oder sei. Ob sie in diesem Fall Giftstoffe produziert hat, müsse noch nachgewiesen werden, betonte der Forscher. Er sprach von einer massiven Algenblüte mit 200 Mikrogramm pro Liter und mehr als 100 000 Zellen pro Milliliter Wasser. Für den Menschen sei das Toxin der Alge aber ungefährlich. Eigentlich lebe die Algenart im Brackwasser, beschrieb Wolter. Das entsteht typischerweise an Flussmündungen, wo sich Süß- und Salzwasser vermischen. Doch in einem salzhaltigen Milieu könne sie gut wachsen, sagte der Gewässerökologe. Zudem brauche die Alge hohe pH-Werte. „Als Brackwasserart würde sie ansonsten in der Oder keine Massenentwicklung bilden.“ Für den Fachmann besteht damit ein klarer Zusammenhang zwischen einer Salzeinleitung und der Algenentwicklung. Er persönlich glaube nicht an einen Unfall, sagte Wolter.
Wenn man sich die Auswirkungen anschaue, falle es schwer zu glauben, dass ein alltäglicher Auslöser schuld sein soll, findet Lars Dettmann, Geschäftsführer des Landesfischereiverbandes Brandenburg/Berlin. „Da hat irgendwer irgendwo entweder mit Vorsatz oder durch einen Unglücksfall Sachen eingeleitet in das Flusssystem, die sich ganz massiv auswirken.“ Auch die Brandenburger Landesregierung geht nach wie vor davon aus, dass das große Fischsterben in der Oder nicht nur natürliche Ursachen hat. „Das können wir getrost ausschließen, sonst würden sich die hohen pH-Werte und der erhöhte Sauerstoffgehalt und vieles andere mehr nicht erklären“, sagte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) gestern. Man wisse noch nicht, was passiert sei. „Wir wissen nur, es muss etwas passiert sein.“.
Woidke erneuerte zugleich seine Kritik an der Kommunikation mit der polnischen Seite. „Es ist Tatsache, dass sechs Tage, bevor bei uns Fische gestorben sind, Fische in Polen gestorben sind – und wir wurden nicht informiert.“ Daher sei er „tief enttäuscht“ von der polnischen Regierung.