Antarktis: Eisiger Gigant am seidenen Faden

von Redaktion

Thwaites-Gletscher schmilzt schneller als gedacht – Meeresspiegel könnte dramatisch steigen

Tampa/Antarktis – Er ist ein eisiger Gigant – und sein Abschmelzen könnte gigantische Folgen haben! Der Thwaites-Gletscher liegt im westlichen Teil der Antarktis und ist mit 192 000 Quadratkilometern Ausdehnung etwa so groß wie der US-Bundesstaat Florida. Wegen seiner globalen Bedeutung wird er auch „Weltuntergangs-Gletscher“ genannt. Ein internationales Forscherteam hat nun den Rückzug des Eisriesen über die Jahrhunderte kartiert, mit dem Ziel, daraus für die Zukunft zu lernen. Die Ergebnisse geben Grund zur Sorge.

Demnach droht der Gletscher schneller abzuschmelzen als bisher angenommen – was zu einem dramatischen Anstieg des Meeresspiegels führen könnte. Die aktuelle Studie wurde jetzt im Fachjournal „Nature Geosciene“ veröffentlicht. Das Team nutzte demnach ein autonomes, mit Sensoren ausgestattetes Unterwasserfahrzeug. Die Forschenden fanden heraus, dass sich der vordere Teil des Gletschers irgendwann in den vergangenen zwei Jahrhunderten einmal innerhalb von weniger als sechs Monaten vom Meeresboden abgelöst und dann mit einer Geschwindigkeit von rund zwei Kilometern pro Jahr zurückgezogen hatte – etwa doppelt so schnell wie in den vergangenen Jahren.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es am Thwaites-Gletscher in den letzten zwei Jahrhunderten und möglicherweise auch Mitte des 20. Jahrhunderts zu Impulsen mit sehr schnellem Rückzug gekommen ist“, erklärte der Marine-Geophysiker Alastair Graham von der University of South Florida, einer der Hauptautoren der Studie. Wegen warmer Meeresströmungen schmilzt der Gigant, der unter Dauerbeobachtung von Wissenschaftlern steht, entlang seiner Unterwasserkante. Der Gletscher wird deshalb auch der „schwache Unterbauch des westantarktischen Eisschilds“ genannt.

Die potenziellen Auswirkungen des Rückzugs von Thwaites seien erschreckend: Ein vollständiger Verlust des Gletschers und des umliegenden Eises könnte einen Meeresspiegel-Anstieg um 90 Zentimeter bis zu drei Meter zur Folge haben. Die Folge: Küstenstädte rund um die Welt könnten teilweise überflutet werden. Ein beängstigendes Szenario, wenn man bedenkt, dass nach UN-Angaben etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung nur rund 97 Kilometer von einer Küste entfernt lebt. Co-Autor Robert Larter vom britischen Polarforschungsprogramm warnte mit drastischen Worten: „Thwaites hält sich heute wirklich nur noch mit den Fingernägeln fest.“ Für die Zukunft sei mit großen Veränderungen in kleinen Zeitskalen zu rechnen, sobald sich der Gletscher über einen bestimmten Punkt hinaus zurückgezogen habe.

Bereits 1973 diskutierten Forscher die Stabilität des Thwaites-Gletschers. In den vergangenen Jahren hatte es wiederholt Berichte von großen Eisabbrüchen in der Antarktis gegeben. Das ist zwar ein natürlicher Vorgang. Doch das Tempo bereitet den Experten Kopfzerbrechen. Das verlorene Eis des Thwaites ist bereits heute für etwa vier Prozent des globalen Meeresspiegelanstiegs verantwortlich. SABINE SCHWINDE

Artikel 9 von 11