Seoul – Auf den Straßen liegen neben viel Müll vereinzelt Schuhe, benutzte Masken und selbst eine Krücke: Es sind Spuren einer Massenpanik, die Samstagnacht während Halloween-Feiern in Seoul mindestens 153 Menschen in den Tod gerissen hat. Bei der Katastrophe im beliebten Ausgehviertel Itaewon der südkoreanischen Hauptstadt wurden zudem mehr als 103 Menschen verletzt, wie die Feuerwehr am Sonntagabend (Ortszeit) mitteilte. Von ihnen hätten 19 schwere Verletzungen erlitten.
Präsident Yoon Suk Yeol ordnete eine gründliche Untersuchung an und rief eine Staatstrauer aus. Sie soll bis zum nächsten Samstag dauern. Es war die schlimmste Katastrophe in Südkorea seit dem Untergang der Fähre „Sewol“ 2014 vor der Küste des Landes, als 304 Menschen starben.
Unter den Todesopfern der Massenpanik befanden sich laut Feuerwehr auch 22 Ausländer, das Innenministerium gab die Zahl mit 20 an. Die Opfer stammten den Angaben zufolge aus China, dem Iran, Russland, den USA, Frankreich, Australien, Vietnam, Usbekistan, Norwegen, Kasachstan, Sri Lanka, Thailand und Österreich. Mindestens 97 der Todesopfer seien Frauen gewesen, berichtete die nationale Nachrichtenagentur Yonhap. Ob es möglicherweise auch deutsche Opfer gab, davon war vorerst keine Rede.
Das Massenunglück in der Millionenmetropole ereignete sich in einer engen, abschüssigen Gasse, als auf den Straßen des Viertels extremes Gedränge herrschte. Für die vorwiegend jungen Partygänger wurde das etwa vier Meter breite Gässchen zur Falle, der sie offenbar nicht entweichen konnten: Zahlreiche Menschen seien auf den Boden gestürzt, während andere von oben nachgedrängt hätten, berichteten Augenzeugen. Viele der Opfer seien erdrückt, erstickt oder sie seien niedergetrampelt worden. Alles sei sehr schnell passiert, sodass die Menschen in der Menge kaum Zeit zur Flucht gehabt hätten.
„Es war wie ein Dominoeffekt“, sagte ein junger Zeuge dem südkoreanischen Fernsehsender MBC. „Ich habe das Gleichgewicht verloren und bin ebenfalls hingefallen.“ Er habe nicht auf am Boden Liegende treten wollen. „Menschen waren bewusstlos oder riefen nach Hilfe.“ In den ersten Berichten von der Unglücksstelle hieß es, viele Menschen hätten bei einem Massengedränge einen Herzstillstand erlitten. Rettungskräfte und Privatpersonen hätten versucht, sie wiederzubeleben.
„Da lagen Menschen auf der Straße an der Kreuzung, die reanimiert wurden“, sagte Karl Sunglao aus Kalifornien, der in Seoul als Englischlehrer tätig ist, der dpa auf dem Rückweg aus Itaewon. Als er und seine Freundin um etwa 23 Uhr am Samstag (Ortszeit) aus der U-Bahn-Station gekommen seien, um zu feiern, hätten sie zunächst gedacht, ein Gebäude sei eingestürzt. „Es herrschte absolutes Gedränge, wir wussten nicht, was los war.“
Die genauen Umstände der Tragödie blieben vorerst unklar. Augenzeugenberichten zufolge waren die Gassen rund um das Unglücksareal derart voll, dass sich die Rettungskräfte nur schwer ihren Weg durch die Menschenmassen bahnen und zu den Opfern vordringen konnten. Online-Videos, die in sozialen Medien kursierten, zeigten dutzende Personen, die am Straßenrand liegend mit blauen Plastikplanen bedeckt waren. Etwa 140 Rettungsfahrzeuge waren laut Yonhap im Einsatz. Das Gebiet wurde weitläufig abgesperrt.
Die Leichen wurden in den Morgenstunden in eine Sporthalle transportiert, wo sie von Angehörigen identifiziert werden sollten. Bis zum Sonntagabend war die Identität der meisten Opfer bekannt. Die Behörden richteten zudem eine Leitung für Vermisstenmeldungen ein.
Das alljährliche Halloween-Fest ist eine der größten öffentlichen Feiern in Südkoreas Hauptstadt. Dieses Jahr fanden wieder zum ersten Mal größere Veranstaltungen zu dem Fest statt, nachdem die Corona-Maßnahmen weitgehend gelockert wurden. Zehntausende Menschen zog es laut den Berichten ins Itaewon-Viertel. DIRK GODDER, FABIAN KRETSCHMER