Millionen Ukrainer sitzen frierend im Dunkeln

von Redaktion

VON DEN KORRESPONDENTEN DER DPA

Kiew/Berlin/Warschau – Neun Monate nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine wird die Lage für die Zivilbevölkerung angesichts russischer Angriffe und winterlicher Temperaturen immer verzweifelter. Nach massiven Angriffen Russlands und Ausfällen der Strom- und Wasserversorgung liefen Reparaturarbeiten auf Hochtouren – die Lage blieb aber auch am Donnerstag äußerst angespannt.

Der Vizechef des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, sagte, das ukrainische Stromnetz sei wieder intakt. Wie viele Haushalte nach den Blackouts vom Vortag wieder mit Strom versorgt wurden, führte er aber nicht näher aus. Betroffen von den Angriffen war nämlich nicht nur das Netz, sondern vor allem die wichtigen Umspannwerke. Der staatliche Atomkonzern Enerhoatom kündigte an, die für die Stromerzeugung maßgeblichen Atomkraftwerke zum Abend wieder ans Netz zu bringen. Mehrere AKWs hatten sich im Zuge der Angriffe automatisch abgeschaltet.

Neben dem großflächigen Ausfall der Stromversorgung gab es infolge der russischen Angriffe auch vielerorts kein Trinkwasser. In Kiew brach zeitweise die Wasserversorgung komplett zusammen. Sie konnte am Donnerstag wiederhergestellt werden – doch brauche es eine gewisse Zeit, bis das Leitungssystem wieder mit voller Leistung arbeite, sagte Bürgermeister Vitali Klitschko.

Das russische Militär hatte am Mittwoch nach Angaben Kiews etwa 70 Raketen und Drohnen auf die Ukraine abgeschossen. Ziele waren wie bei den vorangegangenen Angriffen vornehmlich Objekte des Energiesektors. Zwar wurden nach Luftwaffenangaben 51 Raketen und 5 Drohnen abgefangen. Doch die übrigen Geschosse töteten zehn Menschen, darunter auch ein Baby.

Der Kommandeur der russischen Truppen in der Ukraine, General Sergej Surowikin, war bereits bei seinem Einsatz in Syrien für Angriffe auf zivile Ziele berüchtigt, um seine Gegner zu schwächen. Nach seiner Ernennung in der Ukraine Anfang Oktober sind Angriffe auf die kritische Infrastruktur des Landes zu einem festen Bestandteil der russischen Kriegsführung geworden.

Die massiven Stromausfälle bringen nach Angaben von „Ärzte ohne Grenzen“ Millionen Zivilisten im Land in Gefahr. Tausende Menschen, die bereits in vom Krieg zerstörten Häusern leben, seien nun mit Temperaturen konfrontiert, die in Teilen der Ukraine bis zu minus 20 Grad erreichen könnten, erklärte der Landeskoordinator der Hilfsorganisation in der Ukraine, Christopher Stokes.

„Ausfälle bei der Energie- und Wasserversorgung werden sich auch auf den Zugang der Menschen zur Gesundheitsversorgung auswirken, da Krankenhäuser und Gesundheitszentren nur schwer funktionieren werden“, sagte Stokes.

Der Kreml gab offen zu, dass die russischen Angriffe die Zivilbevölkerung hart treffen. Die ukrainische Führung könne die Leiden der Zivilbevölkerung leicht beenden, indem es „die Forderungen der russischen Seite erfüllt“, sagte Kreml-Sprecher Dimitri Peskow am Donnerstag. Russland beschieße im Übrigen gar keine für das Gemeinwohl wichtigen Anlagen, behauptete Peskow. „Schläge auf soziale Objekte hat es nicht gegeben und gibt es nicht“, sagte der Sprecher trotz der Zerstörungen von Krankenhäusern, Schulen und Wohnhäusern.

Auch Moskaus UN-Botschafter Wassili Nebensja nahm kein Blatt vor den Mund. Russland werde das militärische Potenzial der Ukraine weiter dezimieren, bis Kiew eine „realistische Haltung“ zu Verhandlungen einnehme, sagte Nebensja im Sicherheitsrat in New York. Die Angriffe auf die Infrastruktur seien die Antwort „auf das Vollpumpen des Landes mit westlichen Waffen und die unklugen Aufrufe, Kiew solle einen militärischen Sieg über Russland erringen“, sagte er. Die Ukraine forderte den Abzug aller russischen Truppen.

Der Duma-Abgeordnete Boris Chernyshov sagte im russischen Staatsfernsehen: „Diese Vergeltungsschläge – und es ist Vergeltung – sind ein Ausdruck unseres Hasses, unseres heiligen Hasses. Die Ukrainer, fügte der Politiker hinzu, würden nun „ohne Gas, ohne Licht und ohne alles andere dasitzen“. Schuld trügen aber nicht Kreml-Chef Wladimir Putin und dessen Truppen. Vielmehr sei die Ukraine selbst verantwortlich: „Wenn das Kiewer Regime den Weg der Kriegsverbrecher wählt, müssen sie dort drüben erfrieren und verrotten.“ Die Ukraine fordert den Abzug aller russischen Truppen.

Das EU-Parlament hat unterdessen Pläne für neue Milliardenkredite von bis zu 18 Milliarden Euro für die Ukraine gebilligt. Das Darlehen ist einem Vorschlag der EU-Kommission zufolge aber an Bedingungen geknüpft. Die Ukraine soll im Gegenzug die Korruption stärker bekämpfen und Justizreformen anstoßen. Der Rat der Mitgliedsstaaten muss das Darlehen im Dezember noch einstimmig absegnen. Seit Beginn des Krieges haben die EU und die Mitgliedstaaten den Angaben zufolge die Ukraine mit 19,7 Milliarden Euro unterstützt.

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