Gänswein macht sich im Vatikan unbeliebt

von Redaktion

Ehemaliger Privatsekretär von Benedikt XVI. veröffentlicht Donnerstag seine Memoiren

Rom – Benedikt XVI. war kaum verstorben, da begann sein Privatsekretär Georg Gänswein damit, die Bedeutung des emeritierten Papstes für die Nachwelt festzuhalten. Benedikts oberste Priorität sei es gewesen, Gott in den Mittelpunkt zu stellen, behauptete der 66 Jahre alte Erzbischof aus der Diözese Freiburg. Gänswein erklärte, wie sein langjähriger Chef dem scheinbaren Widerspruch aus Glauben und Vernunft zur Synthese verholfen hätte und dass Benedikt „schon ein Vater“ für ihn gewesen sei. Gänswein behauptete auch: „Der Teufel hat gegen Benedikt XVI. agiert.“

Doch damit nicht genug. In dieser Woche erscheinen die Memoiren des engsten Mitarbeiters von Joseph Ratzinger. Das Timing ist verblüffend, just zwei Wochen nach Benedikts Tod. Das Manuskript kursiert längst unter Journalisten. Es steckt voller Seitenhiebe und handfester Angriffe auf Papst Franziskus. Dass der konservative Gänswein kein Freund des Papstes aus Argentinien ist, ist seit Langem bekannt. Öffentlich wahrte der Kurienerzbischof, der sieben Jahre lang sowohl dem zurückgetretenen Benedikt als auch Franziskus als Präfekt des Päpstlichen Hauses diente, jedoch die Form.

Nun, nach dem Tod Benedikts, nimmt Gänswein kein Blatt mehr vor den Mund. Er sei „schockiert und sprachlos“ gewesen, als der amtierende Papst ihn 2020 als Präfekten des Päpstlichen Hauses beurlaubte, heißt es in seinem Buch „Nient’altro che la verità“ (Nichts als die Wahrheit). Seine Beurlaubung bezeichnet Gänswein gar als „Vorwand“. Hintergrund war die Veröffentlichung eines Buches von Kardinal Robert Sarah, einem Opponenten von Franziskus, zu dem der emeritierte Papst einen Aufsatz zur Verteidigung des Pflichtzölibats beitrug. Zu jenem Zeitpunkt hatte Franziskus mit der Amazonien-Synode eine Debatte über die Weihe verheirateter Männer entfacht, er musste die Frage letztendlich auch entscheiden. Das Machtwort des Papa emeritus band Franziskus die Hände. Der Papst machte Gänswein für dieses Manöver verantwortlich und beurlaubte ihn als Präfekten. Benedikt habe mit einem Brief bei Franziskus ein gutes Wort für ihn einzulegen versucht, schreibt Gänswein, jedoch vergeblich.

Zwei Tage vor der Beerdigung Benedikts wartete Gänswein mit weiteren Details aus dem Innenleben des Vatikan-Klosters Mater Ecclesiae auf, in dem der emeritierte Papst die letzten zehn Jahre seines Lebens verbrachte. Ein von Franziskus verabschiedetes päpstliches Dekret, in dem er die Feier der tridentinischen Messe drastisch einschränkte, sei von Benedikt „mit Schmerz im Herzen“ aufgenommen worden. Dem Papst aus Deutschland war die bei Traditionalisten beliebte Messfeier im alten Ritus ein wichtiges Anliegen, als Papst hatte er den Ritus legalisiert. Gänswein demontierte nun also das Märchen vom problemlosen Miteinander des amtierenden und emeritierten Papstes, die auch beim Umgang mit der Gender-Theorie unterschiedliche Auffassung gehabt hätten. Benedikt habe das Dekret von Franziskus als „Fehler“ wahrgenommen, heißt es in den Memoiren. In Rom ist von „vendetta“ die Rede, also von Rache. Gänswein wolle sich an Franziskus rächen, der nicht nur teilweise das Erbe seines Vorgängers zerstöre, sondern Gänswein auch persönlich kaltstellte.

Die Skrupellosigkeit der Veröffentlichungen sorgt in Rom für Aufsehen und Verwunderung. Sogar Kritiker des Papstes halten Art und Zeitpunkt der Angriffe für verfehlt. Ein Priester aus Bergamo verfasste einen Aufruf, Gänswein möge von der Veröffentlichung seiner Memoiren noch absehen. Doch dafür ist es zu spät, sie sind längst in der Welt.

Die Angriffe auf den Papst lassen nun auch Schlüsse über den weiteren Karriereverlauf des gebürtigen Schwarzwälders zu. Solange Papst Franziskus im Amt ist, wird Gänswein nichts mehr werden. Im Vatikan schon gar nicht. Auch eine Ernennung zum Diözesanbischof scheint ausgeschlossen. Gestern hat Franziskus Gänswein empfangen. Über den Inhalt des Gesprächs wurde nichts mitgeteilt.  jmm

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