Genf – Für Astronaut Buzz Aldrin ist es die tollste Landschaft, die er je gesehen hat, und der war immerhin schon einmal auf dem Mond. Zumindest beschrieb er das Saflischtal im Schweizer Kanton Wallis auf mehr als 2000 Metern Höhe 2015 in einem Werbespot so. Nun ist die Natur dort in Gefahr, sagen Landschaftsschützer. Beim Bergdorf Grengiols ist eine gigantische Solaranlage geplant, so groß wie 700 Fußballfelder. Und nicht nur dort: Dutzende Projekte sind am Start, seit das Parlament Subventionen in Milliardenhöhe in Aussicht gestellt hat. Es herrscht Goldgräberstimmung in der Schweiz.
In Grengiols machen rund 600 Mitglieder der Interessengemeinschaft Saflischtal gegen die Pläne mobil, darunter Ulrike Steingräber-Heinen (42). Sie ist aus Magdeburg, hat neun Sommer als Hirtin und Käserin in der Region gearbeitet und ist heute mit einem einheimischen Landwirt verheiratet. Solarstrom zur Reduzierung der Treibhausgase sei wichtig, sagt sie. „Wir haben selbst eine Photovolatakanlage auf dem Dach. Aber es kann doch nicht das Ziel sein, Natur zu zerstören, um die Natur zu schützen.“
Das neue Energiegesetz erleichtert Bewilligungen für alpine Projekte und verspricht Geld. Wer daran will, muss sich aber sputen: „Anlagen, die bis zum 31. Dezember 2025 mindestens teilweise Elektrizität ins Stromnetz einspeisen, erhalten vom Bund eine Einmalvergütung in der Höhe von maximal 60 Prozent der Investitionskosten“, so das Gesetz. „Sonnenstrom-Bonanza in den Bergen“ schrieb die „Neue Zürcher Zeitung“.
Plötzlich gelten die Alpen nicht mehr nur als ein Freizeitparadies mit Weiden zur Produktion von gutem Bergkäse. Sie könnten der Schweiz auch aus dem Energiedilemma helfen. „Wir haben sehr viele Gebiete, die von der Sonneneinstrahlung her geeignet wären“, sagt Jürg Rohrer von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Der Dozent für erneuerbare Energien ist ein Pionier alpiner Solaranlagen. Was die so attraktiv macht: Sie liefern auch im Winter gut Strom, weil sie meist über der Nebeldecke liegen, bei Kälte sehr effizient sind und von Reflexionen durch den Schnee profitieren. Rohrer hat seit 2017 eine Versuchsanlage mit verschiedenen Solarmodulen bei Davos. „Sie produzieren im Winter drei- bis viermal so viel Strom pro Fläche wie Anlagen im Mittelland“, sagt er. Bislang ist das Potenzial praktisch ungenutzt: Außer einer kleinen Solaranlage in Österreich gibt es nach seinen Angaben in den Alpen nichts auf freier Fläche.
„Wir könnten mit alpinen Anlagen 40 Terawattstunden pro Jahr produzieren, zwei Drittel des derzeitigen Strombedarfs“, sagt Rohrer der dpa. „Aber man muss beachten, dass die Gebiete halbwegs zugänglich sein müssen.“ Es gibt ja andere erneuerbare Energiequellen, Wasserkraft etwa, oder Solarkapazität auf Dächern und an Autobahnen. Für realistisch hält er in den nächsten Jahren alpine Solaranlagen mit einem Potenzial von etwa fünf Terawattstunden. Dafür wären insgesamt 30 Quadratkilometer Fläche nötig, so viel wie 4200 Fußballfelder. Das sei verglichen mit 4635 Quadratkilometern vegetationslosen Flächen wenig, sagt er.
Für viele Anwohner von Grengiols und Umgebung ist das von der Gemeinde und der lokalen Elektrizitätsgesellschaft geplante Projekt aber eine Horrorvorstellung. Sie werben mit einer Fotomontage für Widerstand: auf ein Foto der unberührten Natur haben sie zur Illustration künstlich tausende Solarpanels gesetzt. Ob es je so aussehen würde, ist natürlich unklar. „Solaranlagen sehen aus der Ferne wie Felsformationen aus, wenn man geschickt baut“, sagt Rohrer.
CHRISTIANE OELRICH