Dem Verbrechen ein Gesicht geben

von Redaktion

Phantombilder helfen bei Aufklärung von Verbrechen – wie beim Seniorinnen-Serienmörder

Stuttgart – Was früher noch gezeichnet wurde, entsteht heute mit wenigen Klicks am Computer: Große, grüne Augen, schwarze Haare, breite Nase – Puzzleteil um Puzzleteil wird ein Gesicht zusammengesetzt. Phantombilder sind ein wichtiger Teil der Polizeiarbeit – und das Büro von Rainer Wortmann, Fachkoordinator Phantombild beim Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg in Stuttgart, ist voller Gesichter. An den Wänden hängen private Zeichnungen von Kollegen und Freunden. Doch in den schwarzen Ordnern verstecken sich die Gesichter von den meist gesuchten Tatverdächtigen des Landes in den letzten 20 Jahren.

Erst vor wenigen Tagen führte ein Phantombild wieder zum Erfolg: Im Fall von zwei getöteten Seniorinnen in Schwäbisch Hall fasste die Polizei kurz nach der Veröffentlichung des Bildes einen Verdächtigen. „Das Phantombild hat eine wichtige Rolle beim Fahndungserfolg gespielt. Das war einer von mehreren Gründen, warum man dem Mann auf die Spur gekommen ist“, sagte ein Polizeisprecher.

Oft sind es nur kurze Momente, in denen ein Zeuge einen Täter zu Gesicht bekommt. Doch umso erstaunlicher ist es, wie verblüffend genau und detailreich das Phantombild des Täters später aussieht. „Ich wünschte manchmal, ich könnte den Vorher-nachher-Vergleich veröffentlichen, um zu zeigen, wie ähnlich das Phantombild dem echten Täter ist“, sagt Wortmann. Doch das darf er nicht. 40 Prozent der auf Phantombildern abgebildeten Menschen werden laut Wortmann gefunden – diese Aufklärungsquote hält er für vergleichsweise gut.

Menschen, die direkt von einem Verbrechen betroffen sind, erinnern sich meist am besten an den Täter. „Wir haben spezielle Gehirnbereiche, um Gesichter zu speichern. Bei besonders guten oder schlechten Begegnungen prägt man sich das Gesicht automatisch sehr genau ein“, erklärt Wortmann. Sein Job ist es auch, diese Erinnerung bei Betroffenen wieder aufleben zu lassen. Im sogenannten „kognitiven Interview“ wird das Erlebte noch einmal neu vor Augen gerufen.

Bei den Gesprächen sitzt Wortmann nicht selten Menschen gegenüber, die erst kürzlich etwas Traumatisches erlebt haben. „Die Arbeit mit traumatisierten Menschen lernen wir in der Ausbildung. Manchmal ist bei der Vernehmung aber auch ein Psychologe dabei“, sagt er. Ab und zu müsse die Erstellung eines Phantombildes daher mit viel Einfühlungsvermögen und Pausen durchgeführt werden. Doch viele Menschen berichteten auch davon, dass es gut tue, die schlechten Erinnerungen zu teilen.

Mit Hilfe einer Softwar wird heutzutage das Gesicht rekonstruiert. Dazu steht dem LKA Baden-Württemberg ein virtueller Bildbestand von etwa 5500 modellhaften Gesichtern zur Verfügung. Im Gespräch wird versucht, ein möglichst ähnliches Gesicht zu erstellen. Dabei werden zuerst offensichtlichere Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Hautfarbe bestimmt. Wenn die Grundzüge dann stehen, werden die Feinheiten wie etwa Augenformen bestimmt. Allein hier existiert ein Bestand von bis zu 250 verschiedenen Augenformen.

Auch Muttermale, Narben und Kopfbedeckungen sind in der Bibliothek vorhanden. Eine neuere Erweiterung des Programms sind Mund-Nase-Bedeckungen. Wenn die Software einmal kein Beispiel hat, wie bei einzigartigen Tattoos, wird das Gesicht ausgedruckt und das Tattoo mit der Hand darauf gezeichnet.

Artikel 3 von 9