Was Geoforscher vorhersagen können – und was nicht

von Redaktion

Potsdam – Die Erdbebenkatastrophe in der türkisch-syrischen Grenzregion war zu erwarten. Dort stoßen zwei Erdplatten zusammen, die sich ständig mit etwa zwei Zentimetern pro Jahr gegeneinander verschieben. Das lässt sich inzwischen mit hoch genauen GPS-Messungen bestimmen. Die Platten gleiten aber nicht aneinander vorbei, sondern verhaken sich. Dadurch baut sich immer mehr eine ungeheure Spannung auf, die sich dann mit einem Ruck, einem Beben, entlädt.

Geoforscher versuchen seit Jahrzehnten, in bestimmten Indikatoren wie häufigeren Mikrobeben, also vielen kleinen Erdstößen, oder dem verstärkten Austritt von Gasen, Anzeichen für ein bevorstehendes Erdbeben zu erkennen. Doch trotz aller Anstrengungen ist eine genaue Erdbebenvorhersage, also eine Aussage über den Zeitpunkt und den Ort eines Bebens, bislang nicht möglich. „Das ist nach wie vor ein Traum“, sagt Oliver Heidbach vom Geoforschungszentrum Potsdam. Die komplexen Vorgänge im Erdinneren entzögen sich weiterhin einer vollkommenen Entschlüsselung.

Im Gegensatz zu vergangenen Generationen ist die moderne Zivilisation Erdbeben jedoch nicht hilflos ausgeliefert. Wie Heidbach erläutert, kann die Erdbebenforschung aus der historischen Erfahrung und aus Messwerten von Erdbeben jüngeren Datums ziemlich genau berechnen, welche maximalen Bodenerschütterungen bei einem erneuten schweren Beben für eine bestimmte Region zu erwarten sind. Daraus haben Architekten und Bauingenieure Richtlinien für erdbebensichere Bauweisen entwickelt.

Auch für die Türkei bestehen solche Baunormen. Sie sind nach dem verheerenden Beben von 1999 in der Nähe von Istanbul, das 18 000 Todesopfer forderte, nochmals verschärft worden. Gebäude, die gemäß solcher Normen errichtet werden, können auch einem schweren Erdbeben standhalten. Bilder aus dem Katastrophengebiet belegen das.

Man sieht neu errichtete Wohnhochhäuser, an denen keinerlei Schäden zu erkennen sind. Andere Gebäude in unmittelbarer Nähe liegen dagegen völlig in Trümmern. Ob das ältere Gebäude sind oder ob sie neueren Datums sind und bei ihnen die aktuellen Normen nicht beachtet wurden, lässt sich anhand der Fotos allerdings nicht feststellen.

Das Beben im Südosten des Landes sollte für die Türkei Experten zufolge ein erneuter Weckruf sein, die Erdbebenvorsorge weiter zu verstärken. Denn auch dem Großraum Istanbul droht irgendwann unausweichlich ein schweres Erdbeben, wie Heidbach betont. HANS DIETER SAUER

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