Weniger Wunder, steigende Opferzahlen

von Redaktion

Schon mehr als 70 000 Tote nach Erdbeben befürchtet – Auch Deutsche vermisst

Istanbul – Auch eine Woche nach dem katastrophalen Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet steigen die Todeszahlen unaufhörlich. Zwar wurden auch am Montagmorgen noch Menschen aus den Trümmern gerettet, doch die Hoffnung auf Wunder wie diese ist zusehends dahin. Die Zahl der bestätigten Toten liegt inzwischen bei über 37 500, mehr als 80 000 Menschen wurden verletzt. UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths, der am Montag in Aleppo eintraf, rechnet mit bis zu 50 000 Toten. Der Unternehmensverband Türkonfed geht von mehr als 72 500 aus. Tausende werden noch vermisst, darunter eine einstellige Zahl an Deutschen, wie das Auswärtige Amt mitteilte.

In der Provinz Hatay sei am Montagmorgen eine Frau lebend geborgen worden, berichtete die Tageszeitung „Hürriyet“ – eine weitere Person nach 180 Stunden. Auch aus der Provinz Gaziantep gab es gute Nachrichten: Die Retter holten eine 40-Jährige nach 170 Stunden lebend aus der Ruine eines fünfstöckigen Hauses. Überlebende, die jetzt noch gefunden werden, müssen Zugang zu Flüssigkeit gehabt haben – etwa zu Regenwasser, Schnee, Vorräten oder anderen Quellen. Normalerweise kann ein Mensch etwa 72 Stunden ohne Wasser auskommen, danach wird es lebensbedrohlich.

Am frühen Montagmorgen vor einer Woche hatte das erste Beben der Stärke 7,7 die Region erschüttert, Stunden später folgte ein zweites Beben der Stärke 7,6.

In Syrien warnte die Hilfsorganisation SAMS eindringlich davor, in zerstörte Häuser zurückzukehren. In der Kleinstadt Dschindiris sei eine Schwangere Frau wenige Stunden nach den Erdstößen leicht verletzt aus einem halb eingestürzten Haus gezogen worden, berichtete die in den Rebellen-Gebieten aktive Hilfsorganisation. Nach der Geburt ihres Kindes sei sie zurück in das Haus. Während eines Nachbebens stürzte das Gebäude demnach schließlich ganz ein. Die Frau sei ebenso wie das Baby schwer verletzt ins Krankenhaus gekommen.

Wie die Hilfsorganisation Handicap International berichtete, müssen tausende Verletzte auf professionelle Behandlung warten. Oft lägen sie auf den Straßen, in Fluren oder in Autos. Die Menschen litten an schlimmen Quetschungen, Knochenbrüchen oder Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen. Vielen müssten Beine oder Arme amputiert werden.

Teams von vielen Hilfsorganisationen – auch aus Deutschland – sind seit Tagen in dem Erdbebengebiet im Einsatz. Die in NRW beheimateten I.S.A.R. Germany und BRH Bundesverband Rettungshunde beendeten nach knapp einer Woche ihren Rettungseinsatz in der türkischen Erdbebenregion. Das gemeinsame Team aus 42 Einsatzkräften werde am Montag von Kirikhan nach Deutschland zurückkehren, sagte ein Sprecher von I.S.A.R. Germany am Montag.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in einem Telefonat am Sonntag die Lieferung von weiteren Zelten, Decken und Heizvorrichtungen zu. Aus Bayern kam gestern die Zusage für eine erleichterte Visa-Verlängerung für Menschen aus dem Erdbebengebiet. „Niemand muss wegen eines ablaufenden Visums in die Krisenregionen zurückkehren“, kündigte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) an.

Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde, Ali Ertan Toprak, warnte indes vor eskalierender Gewalt. „Es macht mir zunehmend Sorgen, dass die Menschen aufeinander losgehen“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Viele Ortschaften haben bis heute keine Hilfe erhalten. Deshalb ist die Wut so groß.“ Die Menschen fragen sich auch, weshalb so viele Gebäude einstürzen konnten. Erste Haftbefehle wurden erlassen. Die Beschuldigten sollen für Baumängel verantwortlich sein, die den Einsturz der Gebäude begünstigt hätten, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Experten kritisieren, dass Bauvorschriften für mehr Schutz vor Beben nicht umgesetzt wurden.

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