Longyearbyen – Der „König der Arktis“ steht vor einem doppelten Problem: Eisbären werden durch die dünner werdenden Eisschollen nicht nur immer weiter nach Norden getrieben, jetzt droht den weißen Riesen auch Gefahr durch Chemikalien. Forscher sehen alarmierende Anzeichen, dass tief im Eis gefundene Chemikalien auch die Tiere erreichen könnten. Es ist daher an der Zeit zu fragen: Wie geht es ihm, dem Eisbären?
Eine pauschale Antwort auf diese Frage gibt es nicht. „Es hängt sehr davon ab, wo man hinschaut“, sagt der Eisbärforscher Jon Aars vom Norwegischen Polarinstitut. „Auf Spitzbergen zum Beispiel ist mit ihnen alles weiterhin in Ordnung. Wir sehen viele unterschiedliche Effekte darauf, was sie tun und wo sie sind, aber nicht, dass ihre Population zurückgeht oder sie sich nicht fortpflanzen können.“ Anderswo in der Arktis gehe es ihnen aufgrund des wärmeren Klimas und des zurückgehenden Meereises viel schlechter. Am meisten zu kämpfen hätten sie in südlicheren Gebieten der Arktis wie der Hudson Bay in Kanada, aber auch nördlich von Alaska in der Beaufortsee, wo ihnen mehrere Jahre mit schlechten Eisverhältnissen zugesetzt hätten.
Kaum ein anderer Ort der Welt ist allerdings so eng mit dem Eisbären verbunden wie Spitzbergen. „Es ist eine der Regionen der Welt, wo man wirklich sehen kann, wie sich das Klima erwärmt“, sagt der Arktisforscher Bjørn Munro Jenssen vom Universitätszentrum von Spitzbergen (UNIS).
Das wirkt sich auch auf die Lage der Eisbären aus, wie Forscher Aars erläutert: „Wir sehen, dass sich viele der Bären heute viel weiter nördlich befinden – einfach deshalb, weil sie viel Zeit auf dem Meereis verbringen und das Eis einen Großteil des Jahres 200, 300 Kilometer weiter nördlich ist als üblich.“ Die Zeit zum Seehundjagen werde für sie zudem kürzer und kürzer. Auf Spitzbergen jagten sie nun viel häufiger auch Rentiere und plünderten Vogelnester.
Zum Problem des schmelzenden Meereises kann ein weiteres hinzukommen: Ein internationales Forscherteam um den Umweltchemiker William Hartz (ebenfalls UNIS) hat in einem Eisbohrkern in einem abgelegenen Teil von Spitzbergen namens Lomonosovfonna 26 unterschiedliche PFAS-Verbindungen gefunden. Das sind chemische Stoffe, die etwa dafür genutzt werden, Pfannen oder Jacken schmutz- und wasserabweisend zu machen.
Ihr Problem: Sie verschwinden nicht ohne Weiteres aus der Umwelt, weshalb sie oft auch als „ewige Chemikalien“ bezeichnet werden. Für Gesundheit und Umwelt können sie zudem schädlich sein, weshalb die deutsche Regierung derzeit mit anderen europäischen Ländern darauf hinarbeitet, den Großteil dieser Stoffe verbieten zu lassen.
Auch für die Bären stellen sie ein Risiko dar: Die Sorge ist, dass die durch die Atmosphäre transportierten Chemikalien aus entfernten Regionen in Amerika, Europa und Asien in arktische Gletscher und von dort ins Meer gelangen, wie Jenssen erklärt. Sie könnten es dann letztlich die gesamte Nahrungskette heraufschaffen – von Plankton über Fische und Seehunde bis hin zum besagten Eisbären.
Damit könnten die Tiere vor einem doppelten Problem stehen, wie Hartz sagt. „Eisbären sind giftigen, menschgemachten Chemikalien ausgesetzt und müssen gleichzeitig mit veränderten Lebensräumen, weniger Meereis und sich verändernden Jagdgebieten zurechtkommen“, sagt er. Die PFAS-Werte bei den Eisbären auf Spitzbergen ähneln laut Hartz denen im Blut von Menschen, die in der Nähe von Chemikalienfabriken in China leben. „Das ist ziemlich alarmierend.“