München – Viel Bewegung, eine ausgewogene Ernährung, Verzicht auf Alkohol und Zigaretten: In der Medizin ist unumstritten, dass ein gesunder Lebensstil das Risiko für viele Erkrankungen verringern kann. Doch was, wenn die Diagnosen da sind und die lasterhaften Gewohnheiten fest mit dem eigenen Alltag verbunden? „Der Zug ist abgefahren, eine Umstellung bringt doch jetzt nichts mehr“, mag da der erste Impuls sein.
Ein Irrtum, wenn es nach der Altersmedizinerin Brigitte Buchwald-Lancaster geht. „Es bringt in jedem Alter einen Mehrwert, etwas für sich selbst zu tun“, sagt die Chefärztin des Zentrums für Akutgeriatrie und Frührehabilitation an der München Klinik Neuperlach. Krankheiten im Alter wieder vollständig rückgängig machen – das ist natürlich kaum möglich. Aber: Wer im Alter seine Gewohnheiten neu aufstellt, kann Lebenszeit gewinnen. Zum Beispiel mit einer Ernährungsumstellung. Gut erforscht ist das bei der Mittelmeerkost, wie Prof. Rainer Wirth sagt. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie. Mittelmeerkost heißt: viel frisches Gemüse und Obst, wenig Fleisch, viel Fisch und hochwertige Öle.
„Wenn ein 20-Jähriger darauf umstellt, gewinnt er ungefähr zehn Lebensjahre. Wenn ein 60-Jähriger diese Umstellung macht, gewinnt er immer noch ungefähr acht Lebensjahre“, sagt Wirth. Und selbst wer 80 Jahre alt sei, könne durch eine Umstellung der Ernährung noch gut drei zusätzliche Jahre herausholen. Zumindest im statistisch berechneten Mittel.
Lebenszeit lässt sich auch gewinnen, wenn man mit dem Rauchen aufhört. Buchwald-Lancaster verweist auf Untersuchungen aus den USA. Wenn Menschen, die ihr ganzes Leben lang starke Raucher waren, im Alter zwischen 55 und 64 Jahren aufhören, können sie im Mittel vier Lebensjahre gewinnen.
Doch durch gesündere Angewohnheiten kann man sich – auch im Alter – nicht nur mehr Lebenszeit verschaffen, sondern auch mehr Lebensqualität. „Nach einem Rauchstopp zum Beispiel fühlt man besser, man schmeckt besser. Die Neigung zu chronischer Bronchitis bessert sich schon nach Monaten“, zählt Rainer Wirth auf. Und wer dem Übergewicht den Kampf ansagt, wird wahrscheinlich mit weniger Schmerzen belohnt. Außerdem hilft ein gesunder Lebensstil dabei, die Selbstständigkeit im Alter länger zu erhalten. Brigitte Buchwald-Lancaster erklärt das am Beispiel regelmäßiger Bewegung. „Man muss kein Supersportler sein, sondern es kann schon reichen, eine halbe Stunde am Tag spazieren zu gehen. Aber wenn man gar nichts macht, dann baut die Muskulatur ab.“ Der Gang wird dann unsicherer, das Sturzrisiko steigt.
Doch Gewohnheiten umzustellen, ist schwer. Rauchstopp, Ernährungsumstellung, jeden Tag eine Stunde raus: „Man kann nicht auf drei oder vier Baustellen gleichzeitig arbeiten“, sagt Rainer Wirth. Sinnvoller ist es, sich erst mal einen Bereich vorzunehmen. „Schon die einzelnen Komponenten sind hocheffektiv“, sagt Altersmediziner Wirth. Er rät zu kleinen, messbaren Zielen. Wer sich mehr bewegen will, kann sich vom Schrittzähler in seinem Smartphone helfen lassen – und sich zum Beispiel von 2000 Schritten täglich auf 5000 Schritte hocharbeiten.
Welche Ziele man sich genau steckt, das hängt von der persönlichen gesundheitlichen Situation ab. Und es ist sinnvoll, größere Veränderungen mit dem Arzt zu besprechen. Denn: „Allzu starke Diäten zum Beispiel empfiehlt man im Alter gar nicht mehr so, weil das Risiko der Mangelernährung besteht“, sagt Buchwald-Lancaster. Außerdem geht mit den Kilos auch Muskelmasse verloren. Ein besserer Ansatz kann dann sein, mehr Eiweiß zu sich zu nehmen. Denn Eiweiße spielen für den Erhalt der Muskulatur und damit für die Beweglichkeit im Alter eine große Rolle.
Übrigens: Zu einem gesunden Lebensstil gehört laut Altersmedizinerin Buchwald-Lancaster auch, sich um das seelische Wohlbefinden zu kümmern. Durch regelmäßige Verabredungen mit anderen etwa. „Aktivität und soziale Teilhabe sind wichtig für die mentale Gesundheit.“
Und vielleicht ist jetzt auch der Zeitpunkt, sich ein Haustier zuzulegen. „Menschen, die sich um ein Haustier kümmern, haben eine bessere kognitive Funktion, sind mobiler, haben weniger kardiovaskuläre Erkrankungen“, sagt Buchwald-Lancaster. Für einige ist der Hund die beste Motivation, spazieren zu gehen.
RICARDA DIECKMANN